Geschrieben am 8. Juni 2008 von KPBaumgardt
Wer eine Diätkarriere gemacht hat, kennt Gewichtsschwankungen – wobei das (wieder-) Zunehmen ganz von selbst geht, so, wie ein Stein von einem Berg hinunterrollt: Es gilt das Gesetz der Schwerkraft.
Beim Abnehmen hingegen kann es gewisse Widerstände geben, wenn es „einfach schwer fällt“, nicht vorangeht, haben wir ein Problem.
Mit einem Jo–Jo zu spielen, und es zu beherrschen kann Vergnügen bereiten- das ist wohl eine Frage der richtigen Technik, aber Durchschnittsspieler verheddern sich immer irgendwann.
Mit dem Effekt, dessen Name von dem Spielzeug abgeleitet ist, haben Übergewichtige oftmals mehr Probleme als mit dem eigentlichen Jo-Jo, das man schließlich auch gerne einmal links liegen lassen kann.
Dieses auf und ab mit „Jo-Jo“ zu bezeichnen, hat schon etwas verniedlichendes – das Spiel mit dem schwungvollen Hölzchen an der Leine ist nicht allzu ernst und allzu harmlos im Vergleich zu den Anstrengungen und Enttäuschungen, die mit dem fehlenden Wunschgewicht verbunden sind.
Man fühlt sich bestraft, und gelegentlich ist der Vergleich mit der Sisyphosarbeit zu hören.
Frau A war ein paar Wochen erfolgreich im Sportstudio aktiv, täglich eine Stunde vor Arbeitsbeginn, hat die „Tretmühle“ auf sich genommen, abgenommen und die Unlust am Sportprogramm hat sich wieder durchgesetzt.
Bei Frau B hat ein Ernährungsprogramm gegriffen, sie war erfolgreich beim Abnehmen, konnte und wollte aber bei der folgenden Schwangerschaft einfach das bisher bewährte Programm nicht beibehalten und keine Punkte mehr zählen…
Herr C war mit sparsamer und vollwertiger Ernährung auf dem besten Weg zu seinem Wunschgewicht, da meldete sich eine innere Stimme, die ihm einflüsterete: „Das schaffst Du doch nicht“, und er fiel wieder ein Stück zurück. und noch eines, als er weitere Ziele nicht erreichte.
Man fühlt sich wie beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht: „Zurück auf Start“, und ins Spiel kommst Du erst wieder, wenn Du eine Sechs gewürfelt hast.
Etwas seltener ist er Vergleich mit Sisyphos, dem der Stein, den er auf den Gipfel eines Berges zu bringen hat, kurz vor dem Ziel wieder entgleitet, der sich immer und immer wieder an die gleiche Arbeit begeben muss, ohne je Erfolg zu haben.
Herr D hat seinen BMI in einer relativ geraden Linie von 22 auf 28 gesteigert. Sehr viel Bewegung hat er nicht als Abteilungsleiter, aber täglich gutes Essen, am Wochenende darf es auch „etwas“ mehr sein von dem guten Rotwein. Abnehmen möchte er nicht wirklich, aber er wäre gerne wieder schlank.
Frau E war als Mädchen schnell gewachsen und „dürr wie eine Bohnenstange“, noch als Studentin sehr schlank, füllig als Mutter zweier Kinder. Dann beschloss sie, dieses Erscheinungsbild als „fraulich“ zu empfinden und nimmt seither noch weiter zu.
Herr D und Frau E haben eine „genial einfache“ Methode gefunden, dem Sisyphos-Effekt zu entgehen…
Frevel
„So etwas“ scheint kein allzu beliebtes Thema zu sein, und auch bei Sisyphos wird sein eigentlicher Frevel gelegentlich als „nicht näher bezeichnet“ bezeichnet, auf Deutsch gesagt: Unter den Teppich gekehrt.
Wir wissen aber auch, dass der listenreiche Vater des Odysseus den „Gottvater“ Zeus verpetzt hat, Geheimnisse ausgeplaudert, das Gebot der Diskretion verletzt hat.
An der Strafe lässt sich nichts mehr ändern. Sie ist kein Selbstzweck, sondern entspringt dem Gerechtigkeitsempfinden, zumindest dem Gefühl für das, was „richtig“ und was falsch ist. Deshalb hat auch Nemesis, die Göttin der Vergeltung, ihren Platz im Olymp.
Wir müssen uns vorstellen, dass Sisyphos auf ewig mit seiner absurden, zwecklosen Arbeit beschäftigt ist, allenfalls kann man das Strafritual umdeuten:
„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.”
(Camus, Albert (1942), Der Mythos des Sisyphos, S. 160, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, 2001) [Quelle]
Also auch das eine Möglichkeit: Den Zwang zu verinnerlichen und freiwillig zu tun, was als Strafe gedacht war.
Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass dieser Teil der Sisyhpos-Geschichte sich in der Unterwelt – nach dem irdischen Leben – abspielt; so weit sind wir noch nicht, legen uns aber dennoch gelegentlich selbst Steine in den Weg… (Wenn wir, im richtigen Leben, von einem Stein, der ins Rollen kommt, sprechen, kann das auch unterschiedliche Bedeutungen haben; eine Lawine, ein Erdrutsch kann daraus werden – im Allgemeinen nichts angenehmes.)
Wir sind mehr oder weniger fasziniert vom Stolz der Bergsteiger, die höchste Gipfel bezwingen und von ihren Erlebnissen berichten – die Faszination und Bewunderung, die sie erfahren, deutet darauf hin, dass es unter ihren Zuhören einige gibt, die gerne auch solche Gipfel bezwungen hätten.
Dabei wird die Luft, je höher man kommt, zunehmend dünner. Solche Regionen sind für den alltäglichen Aufenthalt nicht geeignet.
Die Gesellschaft der Bestraften
In der Unterwelt ist Sisyhos in bester Gesellschaft: Wir finden die obige Abbildung im „Lexikon der antiken Mythologie“; die Bildunterschrift lautet „Sisyphos, Ixion und Tantalos“.
Tantalos ist wohl so bekannt wie Sisyphos. Seine Bestrafung ist vielleicht das schlimmste, was sich manche vorstellen können: Im Hades stand er bis zum Kinn im Wasser, aber immer, wenn er sich niederbeugte, um seinen brennenden Durst zu stillen, trocknete der See aus. Zweige mit Früchten hingen über seinem Kopf, aber wenn er sie greifen wollte, blies der Wind sie fort.
Außerdem war ein Stein über ihm aufgehängt, der jeden Augenblick niederzufallen und ihn zu zerschmettern drohte.
Diese Qualen musste Tantalos erleiden, weil er – so eine Version – Nektar und Ambrosia aus dem Olymp gestohlen hatte; auch er hatte gewisse Geheimnisse der Götter verraten.
Ixion hatte seinen Schwiegervater in ein Grube mit glühenden Kohlen gestoßen – beim ersten (Verwandten-)Mord ging es um den Brautpreis.
Ixion konnte weder einen Menschen noch einen Gott finden, der ihn von dieser Tat reinigen wollte; schließlich lud ihn jedoch Zeus, der in Dia, Ixions Gattin, verliebt war, auf den Olymp.
„Der schamlose Mann vergalt diese Ehre mit dem Versuch, Hera zu verführen. Die Göttin berichtete dies ihrem Gatten. Zeus glaubte ihr offensichtlich nicht und stellte deshalb aus einer Wolke ein Bild seiner Gattin her, das er in I.s Bett legte. Entzückt nahm I. die Gelegenheit wahr und wurde so überführt. Zeus kettete ihn zur Strafe an ein geflügeltes, feuriges Rad, das sich für immer am Himmel oder … in der Unterwelt drehte.“
Nur einmal gab es eine Unterbrechung der Strafe, als Orpheus mit seinem bewegenden Gesang erreichte, daß er Eurydike mit zurück ins Leben nehmen dürfe.
Während er so zum Klang seiner Saiten sang,
begannen die blutlosen Seelen zu weinen,
Tantalos schnappte nicht nach dem entweichenden Wasser,
Ixions Rad stand still,
an des Tityos Leib hackten nicht mehr die Geier,
keine Krüge trugen die Danaiden
und du, Sisyphus, ruhtest auf dem Felsblock aus.
(Ovid, Metamorphosen X., 40-52)
Zu der Gruppe der mit Höllenqualen Bestraften hätten wir nun noch Tityos und die Danaiden hinzuzufügen.
Die Geschichte von Danaos und Aigytos, zwei Brüdern, die Krieg gegeneinander führten:
Die Brüder hatten jeder fünfzig Kinder von verschiedenen Frauen, aber Aigyptos‘ Nachkommen waren alle Söhne, während D. nur Töchter hatte.
Schließlich sollten die Neffen die Nichten heiraten, aber Danaos verlangte von seinen Töchtern, dass sie in der Hochzeitsnacht die vom Wein betäubten Männer ermordeten – und 49 der Töchter gehorchten.
HYPERMESTRA hieß die rühmliche Ausnahme:
„Es ist besser angeklagt zu werden, als es dem Vater auf diese Weise recht gemacht zu haben“ (OVID, Heroides, XIV)
In der Folge wurde es schwierig, die jungen Witwen zu verheiraten. Später, in der Unterwelt, mussten sie unablässig Wasser holen – mit Krügen, die leck waren und immer wieder gefüllt werden mussten.
Zwangshandlungen und Bindungen
Vom Effekt her entspricht diese Handlungsweise dem, was umgangssprachlich mit dem „Fass ohne Boden“, das man unmöglich voll bekommen kann, gemeint ist.
Sinnloses, widersinniges Tun, wie eben einen Stein, der immer wieder herabrollt, auf einen Gipfel bringen zu wollen. Psychologisch-diagnostisch könnte man dabei auch von Zwangshandlungen sprechen.
Auch das Schmachten des Tantalos verursachen sich Manche selbst: Mit Fasten-„Kuren“, in denen Enthaltsamkeit geübt wird – nicht für die Ewigkeit, aber das Zeitgefühl verschiebt sich ja beim Fasten.
Ixion ist „technikaffin“, nämlich an die Erfindung, die am ehesten „Technik“ symbolisiert, das Rad, gebunden. Er dreht sich im Kreis; Wenn Gedanken sich im Kreis drehen, sind das Zwangsgedanken oder ist es eine Fixe Idee; etwas bewegt sich, ohne dementsprechend weiter zu kommen.
Man kann auch jahrelang darüber grübeln, warum man denn nicht abnimmt, oder warum man denn so zugenommen hätte…
Diese Sünder werden in der Mehrzahl nicht mit Schmerzen und Qualen bestraft, sondern durch Misserfolg.
Die mythischen Figuren sind nicht als konkrete Figuren, sondern als Sinnbilder zu verstehen. In ihrem Verhalten spiegelt sich menschliches Verhalten, das „die Alten“ in einer mehr oder weniger verschlüsselten Form dargestellt haben, und so steht ihr Verhalten sinnbildlich für das, was wir tun.
Dass wir alle mehr oder weniger „hoch hinaus“ wollen oder zumindest vorwärts- und weiterkommen wollen, ist zunächst ein notwendiges Eingeständnis.
Stagnation ist unerwünscht, wir sind von Kindheit an Wachstum gewohnt – aber irgendwann hört es damit auch auf.
Sein „höheres Streben“ könnte auch das Begehren höchster Genüsse, des „Gipfels des Genusses“ symbolisieren.
Sisypos‘ Stein könnten wir etwa als sinnlosen Ballast, als „Altlast“, die er mit sich herumschleppt, deuten.
Von dem Frevel, andere zu übervorteilen, hat er sich nie befreit – so muss er seine Strafe auf sich nehmen.
Bei den mythischen Figuren ist der Strafanlass noch einsichtig, und sie haben nicht die Möglichkeit, zu reflektieren, was sie tun.
Rätselhaft bleibt jedoch, warum unsereins mit solcher „Sisyposarbeit“ beschäftigt ist. Mit dem Jojo ist doch so: Soll es seinen Schwung behalten, braucht es immer wieder, im richtigen Moment, einen Anstoß.
Gelegentlich kursiert in der Pädagogik das Buch von Siegfried BERNFELD „Sisyhos und die Grenzen der Pädagik“. Wir stehen nicht unter dem Zwang, den Stein immer wieder bis zum Anschlag so weit nach oben zu tragen, bis er eben wieder herunterrollt.
Wir haben unsere Grenzen, wie auch unser Gegenüber sie hat. Wer zu viel verlangt, wird wenig bekommen.
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