Geschrieben am 26. Februar 2008 von KPBaumgardt
Ständig wird zum Abnehmen nach dem idealen „Stoff“, der richtigen Ernährungsform, der perfekten Diät gesucht. Wer danach sucht, sollte bedenken, dass wir nicht nur einen Körper bewohnen, sondern auch eine Seele haben. Gedanken gibt es nicht nur als Bewußtsein, sondern auch in unwillkürlicher, verborgener, unbewusster Form, wie etwa bei Träumen, deren Sinn nicht immer verständlich ist, oder im Märchen.
Kinder brauchen Märchen, weil – kurz gesagt – sie noch nicht wissenschaftlich denken können.
Märchen verwenden Urbilder der menschlichen Gesellschaft, in der die Kinder nützliche Mitglieder werden sollen: „Archetypen“ wie König, Königin, Bettler, Magier, Hexe, Dummkopf, Aschenputtel, Teufel usw..
Märchen ermöglichen es, Lebensentwürfe, Leitlinien zu entwerfen, Gut und Böse zu unterscheiden, Ängsten und Hoffnungen eine Gestalt zu geben.
Es wird auch jeder sein Lieblingsmärchen haben; manchmal nicht mehr vollständig erinnern können, manchmal nur in einer anderen Form, als das Original.
Bettelheim beschrieb den Fall einer Studentin, die davon überzeugt war, dass in „Hänsel und Gretel“ Gretel die passive Rolle gespielt, hilflos im Käfig, und Hans die Hexe verbrannt hätte.
Dementsprechend abhängig war sie von der Meinung ihres Bruders und der Ansicht, seien Meinung habe Weisungscharakter.
Erst durch die Aufklärung dieses Irrtums und seiner Entstehungsbedingungen konnte die Studentin ihre Autonomie finden.
Die entstellte Form des Märchens, des Lebensentwurfs hatte die Funktion eines wirksamen Schutzes vor Schuldgefühlen (Gretel hatte die Hexe (=Mutter) verbrannt) – aber die wiederhergestellte Form des Märchens hatte schließlich eine noch wichtigere Funktion: In der Identifikation mit der richtigen Gretel konnte die Studentin ihre Entscheidungen eigenständig und ohne Bruder treffen.
Letzlich fehlt noch die Aufhebung der Identifikation mit Gretel: Mit den Augen einer Gretel kann sie zum Beispiel ihren Bruder immer nur als Hänsel sehen.
Soweit ein Beispiel für die therapeutische Wirksamkeit von Märchen.
Es stammt aus einem Kurs, den Bettelheim gegeben hatte, und alle Teilnehmer hatten bei der Aufgabe, das Lieblingsmärchen ihrer Kindheit niederzuschreiben, mehr oder weniger starke Verfälschungen eingearbeitet,und konnten die Gründe dieser Abweichung vom Original auch meist selbst erkennen.
Es dürfte kaum eine allgemein gültige Definition von „Märchentherapie“ geben, aber unumstritten sein, dass Märchen therapeutisch wirksam werden, wenn man sich mit dem, was man mit einem Märchen verknüpft, auseinandersetzt.
Märchentherapie ist für meine Wiedergabe der „Klugen Else“ vielleicht ein zu starkes Wort.
Der Text ist ein Experiment, anders ausgedrückt: Ein Essay zu dem, was das Märchen uns mitteilen will. Als mp3 ist es ein Text zum Zuhören. Was dabei jeweils passiert, lässt sich nicht vorhersagen, da jeder Zuhörer einzigartig ist.
Hier gilt: Probieren geht über studieren. In diesem Sinne: Viel Spass bei Märchentherapie und Abnehmen mit Else!
Die Passagen, die sich auf Bruno Bettelheim beziehen, beruhen auf:
Bettelheim, Bruno,
Einleitung zu:
Dieckmann, Hans
Gelebte Märchen
Lieblingsmärchen der Kindheit,
Kreuz-Verlag, Zürich, 1991, S. 7-14
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