Geschrieben am 10. Dezember 2007 von KPBaumgardt
Das letzte EDEKA-Heftchen brachte mich, da ich es rückwärts durchgeblättert hatte, doch bald zum Schmunzeln:
„Frühjahrsdiät, Bikinidiät, Herbstdiät. Aber eine Weihnachtsdiät gibt es auch nach 100 Jahren noch nicht“
Als kleiner Spass war die Eigenwerbung wohl auch gedacht, und ein wenig auch als Absolution für die bevorstehenden, unausweichlichen Schlemmereien.

Wobei der Rezeptvorschlag der Ernährungsberaterin Gabriele Voigt-Gempp „Festliches Hirsch-Gulasch mit Wirsing und Servietten-Nuss-Knödel“ ja noch moderat ausfällt, und der Serviettenknödel immerhin mit Vollkornbrötchen zubereitet wird.
Und da gibt es außerdem noch das reichhaltige Angebot an Fisch, von Aal bis Zander, mittendrin das Rezept für eine Kürbiscremesuppe mit Viktoriabarsch-Filet.
Viktoriabarsch? War da nicht etwas?
Wenn da etwas zu bedenken ist, findet sich die Auskunft doch sicherlich bei food-watch. Mal schauen.

Nein, negativ. Viktoriabarsch ist unbedenklich. Oder ist Thilo Bode, im Alleingang, noch nicht so weit, eine umfassende Essensschau anzubieten? Und wie kommt Fisch aus Afrika nach Deutschland – mit dem Flugzeug?
Allerdings wird der Viktoriabarsch eingeflogen:
Pro Kilo Fischfilet, das bei uns ankommt, werden 2 kg Kerosin verbraucht.
Dabei gehört der Fisch, der eigentlich ein Nil-Barsch ist, gar nicht in den See.
Die Ansiedlung des bis zu zwei Meter langen Fisches im Viktoriasee in den 60er Jahren (niemand will es gewesen sein) hatte verheerende Folgen für das Ökosystem: Von Hunderten dort vorkommenden Buntbarscharten starben mehr als die Hälfte aus. Die traditionelle Fischerei vor Ort ist ausgelöscht.
Die Seite „Marktcheck“ schreibt:
Bestand/ Haltung
Eigentlich wäre es sinnvoll, den Viktoriabarsch zu dezimieren. Doch die Fischerei verläuft weitgehend unkontrolliert und die lokale Bevölkerung zieht keinen Nutzen daraus, denn die teuren Filets gehen fast vollständig in den Export. Viele soziale Probleme haben sich durch diesen Handel verschärft.
Fangmethode/Schäden
Heimische Arten werden als Köder weggefangen und sind gefährdet. Der Transport von frischen Filets auf dem Luftweg belastet die Umwelt: Der Flug von Nairobi nach Frankfurt verbraucht etwa zwei Liter Kerosin pro Kilo Barsch.
Auch bei Wikipedia finden sich einige Informationen:
In zahlreichen Fabriken vor Ort – welche den EU-Lebensmittelstandards entsprechen, EU-Zulassungsnummern tragen und teils mit Mitteln der EU als Entwicklungsprojekt gefördert wurden – wird der Fisch filetiert und durch Schockfrosten für den Export vorbereitet. Nach dem Transport über teilweise mehrere Hundert Kilometer Wüstenpisten zu den Flughäfen gelangen Fische und Filets in die Bestimmungsländer.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Die Aussetzung von Nilbarschen im Viktoriasee wird heute oft als prägnantes Beispiel für drei sehr unterschiedliche Phänomene genutzt, zum einen für die Auswirkungen unreflektierter Entwicklungshilfe und die Korruption lokaler Eliten in Entwicklungsländern, zum anderen für die Auswirkungen neoliberaler Wirtschaftskonzepte auf lokale Wirtschaftskreisläufe in unterentwickelten Ländern. Der letzte Kritikpunkt umschreibt die Auswirkungen der Ausbringung exotischer Elemente in bestehende Biosphären.
Dass, während wir die Filets in die Pfanne geben, der einheimischen Bevölkerung nur der Rest vom Fisch bleibt, Gräten und Köpfe also, ist nicht ganz leicht zu glauben.
Beim EPD lesen wir im Zusammenhang mit einem Film, der über die Geschäfte rund um den Viktoria-Barsch gemacht wurde:
Der Zynismus der Verhältnisse ist grenzenlos … 45 Millionen Euro hat die EU ausgegeben, damit die Fischfabriken in Produktivität und Hygiene „Weltniveau“ haben; 17 Millionen aber fehlen der UNO, um die drohende Hungersnot im Inneren Tansanias zu bekämpfen. 500 Tonnen Fisch werden allein in Mwanza täglich verarbeitet, zwei Millionen Filets vom Victoriabarsch in Europa täglich verzehrt.
Die Flugzeuge, die den Fisch ausfliegen, fliegen nie leer. Was sie in die Ursprungsländer des Viktoriabarsches bringen: Oftmals Waffen.
Der Viktoriabarsch: Kein Fisch für Festtage, nicht mit ruhigem Gewissen zu genießen.
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