Essen, Fühlen, Gesundheitsreform
Geschrieben am 4. Februar 2007 von KPBaumgardt
Wer nicht fühlen will muss essen!
Das ist die Überschrift in einem Forum zum Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom; und für manche mit Übergewicht ist damit eine gute Erklärung, oder der Ansatz einer Erklärung gegeben, was so alles schief läuft.
Manche der Ratschläge stimmen dann wieder bedenklich; Tipps wie: „Mach doch Therapie, geh spazieren“ sind zunächst ein wenig „dünn“, dass auch zu einem Magenband geraten wurde, kam von einer Teilnehmerin, deren Schwester offenbar nicht anderes zu helfen war.
Bei so einem Forum mitzulesen, ist ein wenig, wie bei einer Selbsthilfegruppe mitzulauschen; in diesem Fall ja auch nichts schändliches, ist das Forum doch öffentlich, damit interssierte Leser sich beteiligen können.
Das ADS-Syndrom im Zusammenhang mit Adipositas ist jedenfalls innerhalb der herrschenden Diskussion ein sehr an den Rand gerücktes Phänomen, bei der „Gesellschaft für Ernährung“ wird man es als Stichwort vergeblich suchen, ist anzunehmen. Und auch mit fünf Portionen Gemüse am Tag ist diesem Problem nicht beizukommen.
Andererseit ist „ADS“ ein ungemein schwieriger Begriff, der ähnlich wie „Alexithymie“ nicht gerade „griffig“, jedenfalls nicht in wenigen Worten zusammenzufassen ist.
Das Wissen über die Krankheit oder das Defizit und die Einsicht, was dabei geschieht, ist ja in der Psychotherapie eine Voraussetzung für die Heilung, wobei die Einsicht allein nichts nutzt, solange nicht die Erfahrung hinzukommt, dass es auch anders geht.
Ein etwas überzogenes Beispiel: „Ich esse die Riesenportion Pommes gerade, weil ich sie nicht essen soll, weil ich mir beweisen will, dass ich mir keine Vorschriften machen lasse“. Oder: „Ich schaufle die Mahlzeit in mich hinein, ohne darauf zu achten, und verfolge desto gespannter das Fernsehprogramm, alternativ tagträume ich beim Essen“.
In der Ernährung, wie im zwischenmenschlichen Kontakt, sind „korrigierende emotionale Erfahrungen“ für Veränderungen die Voraussetzung – da helfen Medikamente, gedruckte Ratgeber und Computerprogramme nur sehr bedingt. Eine förderliche Umwelt ist auch nicht immer das, wovon man im Überfluss hat.
Die Summe der Probleme macht es notwendig, auch einmal nachzudenken, wie denn für die Masse eine Lösung gefunden werden kann, wenn das Gesundheitssystem jetzt schon am Limit scheint. Die Reform des Gesundheitswesens ist noch einmal zu überdenken.
Sicherlich ist es richtig, Ärzten, Apothekern und der Pharmaindustrie eine Existenzgrundlage zu bieten; wir sollten aber auch nicht vergessen, dass diese Elite unserer Gesellschaft Teil der Gesellschaft ist, und hier auch ihre Ausbildung genossen hat.
Könnten wir den Schwerpunkt bei der Gesundheit setzen, wäre auch die Einsicht nicht weit, dass dieses Gesundheitssystem, so wie es ist, das „Massenproblem“ Übergewicht nicht lösen kann. Einzelne sind in der Lage, für sich eine individuelle Lösung zu finden; die Meisten haben nur kurzfristige Erfolge.
Was die Selbsthilfe in Gruppen betrifft, wird nur immer wiederholt, dass es da Möglichkeiten gebe. Von einem flächendeckenden Angebot kann jedoch nicht die Rede sein. Es gibt hier eine Unterversorgung, die niemand wahrhaben will, die noch nicht einmal wahrgenomen wird.
Dass Selbsthilfegruppen für Übergewichtige nicht „von selbst“ entstehen, scheint mit einer gewissen Resignation zusammenzuhängen. Nicht, dass sie keinerlei Elan hätten.
Was Diätenwahn und Schlankheitswahn ist, wissen wir. Es ist an der Zeit, mit den falschen Idealen Schluss zu machen, und es wird Zeit für die/uns „Kräftige(n), sich doch noch einmal aufzuraffen, und ihre/unsere Resignation („Ich hab’s aufgegeben, ich nehme ja doch nicht ab, vielleicht mit einer Operation“) über Bord zu werfen.
Mehr zu den psychischen Ursache des Übergewichts findest Du im Artikel „Übergewicht und Psyche“ sowie im Blog unter der Rubrik „Psyche„. |
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