Wohin kommt, wer einem Leitfaden folgt?

Zum Thema „Selbsthilfe bei Übergewicht“ gibt es wenig konkrete Angebote – aber wer eine Gruppe gründen möchte, findet einen Leitfaden für die Gruppenarbeit und kann mit dessen Hilfe voranschreiten.

Das schriftliche Material war die Antwort auf meine Frage, wo ich denn in der Nähe eine existierende Selbsthilfegruppe, die sich mit der Problematik des Übergewichts auseinandersetzt, zum Erfahrungsaustausch über die Gruppenarbeit finden könne.

Die vorgesehene Abfolge

  1. Erste Schritte unternehmen
  2. Die Selbsthilfegruppe organisieren
  3. Räume finden
  4. Die Gruppenarbeit gestalten
  5. Den Rücken stärken
  6. usw.

klingt einigermassen plausibel. Der Hinweis: „Beispielseise können Sie … bei einer Selbsthilfekontaktstelle vor Ort nachfragen, ob es andere Betroffene oder eine bereits bestehende Gruppe in Ihrer Umgebung gibt“ allerdings führt ins Leere.

Es gibt auch keine Selbsthilfekontaktstelle, die – selbst bei Gesundheitsproblemen epidemischen Ausmasses – von sich aus aktiv wird.

Völlig richtig dürfte die Aussage sein, dass der erste Schritt darin besteht, Mitstreiter zu finden, was aber im Fall der Übergewichtigen dadurch erschwert ist, dass die Interessenten aller Erfahrung nach nicht sonderlich streitbar sind, sondern zum Beispiel voller Schuldgefühle, wegen ihrer „selbstverschuldeten“ Krankheit, oder sie gehören zum Typ „Voyeur“ („Mal sehn, ob es Anderen noch schlechter als mir geht), oder sie leiden am Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) , oder, schlimmstenfalls (?) gehören sie zum Typ „Nimmersatt„.

Es gibt also viele von der Krankheit Betroffene, aber wenige potentielle Mitstreiter, und wenig Motivation, weil es so wenige Mitstreiter gibt.

Und, wer sich krank fühlt, dem ist nicht nach Streit zumute. Allenfalls kann man sich um engagierte Mitglieder, oder Gruppenmitglieder, die sich engagieren, bemühen.

Ein weiteres Manko des Letifadens offenbart sich beim Blick ins Literaturverzeichnis: Hier werden überwiegend ältere Titel genannt, so etwa „Die Gruppe“ von Horst-Eberhard Richter (1975).

Dieses Buch mit dem wohltönenden Untertitel „Hoffnung auf einen neuen Weg, sich selbst und Andere zu befreien – Psychoanalyse in Kooperation mit Gruppeninitiativen“ hatte schon zu Lebzeiten wenig Umsetzung erfahren, ist antiquarisch ab einem Cent (plus Versandkosten) erhältlich, aber eine inhaltlich aufschlussreiche Rezension ist im Internet schier nicht zu finden.

Das heißt, die Grundlagen des Selbsthilfe-Leitfadens sind im Wesentlichen hoffnungslos überaltert, eine solide weitere Erforschung der Wirkung (oder Nicht-Wirkung) von Selbsthilfegruppen hat überhaupt nicht stattgefunden.

Auch der Psychoanalyse-Boom hat sich gelegt, verwertbar an dem Titel ist vielleicht das Wort „Gruppeninitiative“. Richter und Andere hatten analytisches Denken in die Sozialarbeit einfließen lassen wollen, etwa über die Arbeit von Studenten, die ihre Arbeit „psychoanalytisch reflektierten“.

Die Forschung auf dem Gebiet der Gesundheit hat also die gleiche Verdrängungsleistung zustande gebracht, wie sie die Übergewichtigen auf dem Weg zur Adipositas zustande bringen: Behäbigkeit als Selbstschutz vor dem bestehenden Leidensdruck, und: Nichts hören, nichts sehen.

Die Krankheitseinsicht kommt dann vielleicht, wenn es „5 Minuten vor 12“ ist, oder auch nicht.

Was den Erfahrungsaustausch zwischen Gruppen und Einzelpersonen, die (Selbst-) Hilfe betreiben, betrifft, bleiben im „Leitfaden“ die Möglichkeiten des Internet außen vor: Die Empfehlung, etwa ein Selbsthilfegruppen-Blog einzurichten, oder gar  technische Unterstützung, sucht man im Selbsthilfe-Leitfaden vergebens.

Die Leiterin einer Koordinationsstelle für Selbsthilfegruppen meinte, darauf angesprochen, nur: „Vielleicht wollen die das ja gar nicht“. Auf Deutsch gesagt: Sie versteht selbst nicht viel von der Materie, also kann sie auch nicht dazu anraten, das Medium Internet, oder web 2.0, zu nutzen.

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