Wer braucht die Epigenetik?

Auf die 3-Sat-Sendung “Gefährliche Mahlzeiten” war hier schon einmal hingewiesen worden; gewisse Grundkenntnisse in Biologie, wie wir sie vielleicht in der Schule erworben haben, sollten wir hinsichtlich “Genetik” vielleicht auffrischen, unbedingt jedoch ergänzen, wenn es um “Epigenetik” geht.

Die Sendung machte das Phänomen populärwissenschaftlich und einigermassen nachvollziehbar verständlich:

Demnach gibt es Einflüsse der Nahrungsmittel und Enzyme auf die Gene: Nicht im Sinne einer Genveränderung, sondern, welche Gene an- und abgeschaltet werden.
So gibt es Veränderungen am Erbgut eineiiger  Zwillinge: Zum Beispiel bei Schwestern, die in England und Mexiko aufwachsen, also auch einen anderen Lebensstil entwickeln.

„Seitdem sich die Zwillinge unterschiedlich ernähren, verändert sich … ihre Gesundheit“.

Bei der Analyse der DNA ist die Funktion der Gene verändert. Es gibt „ausgeschaltete“ Gene.
Die Daten der DNA-Methylierungen zeigen Unterschiede je nach Lebensstil und Essgewohnheiten.

DNA-Methylierungen können aktive Gene einfach abschalten und langfristig auch bei eineiigen Zwillingen zu sichtbaren Veränderungen führen. Das hieße, unsere Ernährung kann die Funktion unserer Gene beeinflussen. Welches Gen aktiv ist oder nicht, zeigt dem Wissenschaftler eine Art Schaltplan, das so genannte Über-Genom oder Epigenom.

Vermutet wird, dass die Nahrung neben Einflüssen wie Rauchen und Stress den genetischen Schaltplan verändert.

Eine medizinische Studie aus der Amsterdamer Hungersnot 1944, bei der Tausende gestorben sind, stützt sich auf Geburtsberichte aus der Zeit der Hungersnot und weist die Folgen der Unterernährung auf schwangere Frauen und Babys im Vergleich zu Geburtsdaten aus besseren Zeiten auf.
Die Schicksale, die Entbehrungen hatten Folgen: Nierensteine mit 17, hoher Blutdruck, Brustkrebs, erhöhter Cholesterin.

Offensichtlich speicherte irgendetwas in den ausgemergelten Babykörpern die Information, wie mit der Nahrung umzugehen ist – für den ganzen Rest des Lebens. Die schwere Unterernährung der Babys schlummert in einer Art Zellgedächtnis über mehrere Jahrzehnte bis ins Erwachsenenalter.

Miguel Constancia:
„Interessant ist, dass Menschen, die ein niedriges Geburtsgewicht hatten, also bei der Geburt klein waren, später ein höheres Risiko für Typ II Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelten. Wir nennen dies: umweltbedingte Programmierung von Erwachsenenerkrankungen.“

In Japan gibt es  weniger Krebserkrankungen aufgrund der Verbreitung des grünen Tees – also einer “Naturchemikalie” die auf ein Gen einwirkt, und ein abgeschaltetes Gen wieder einschaltet.

Die Bausteine die für Zellteilung fehlten im Hungerwinter – hier ergibt sich eine Analogie zur  Magersucht. „Folsäure, Vitamin B12 und einige andere Stoffe sind unbedingt notwendig, um den Schaltplan bei der Zellteilung zu übertragen.“

Damit lässt sich auch nachvollziehen, warum bestimmte Nahrungsmittel in der Vergangenheit so verehrt wurden.

„Lebertran und Meeresfrüchte aktivieren im Winter Gene, die Abwehrstoffe produzieren. Obstsorten beugen unkontrolliertem Zellwachstum, also Krebs, vor. „

Die DNA allein erklärt also nicht alles. „Durch das Ein- und Abschalten  der Gene   erreicht ein Chromosom aber vielfältige Kombinationsmöglichkeiten.“

Sehr anschaulich wird das von dieser Entdeckung illustriert: Werden Fruchtfliegen-Eier auf 37 Grad erhitzt, ändern  die Fliegen mit der Temperatur die Augenfarbe, und die Nachkommen der Nachkommen haben die gleiche Veränderung: Es muss sich um eine Epigenetische Vererbung handeln: Erworbene Eigenschaften werden weitergegeben.

Epigenetische Veränderungen beim Menschen könnte auch bedeuten: Die Weitergabe von Krankheiten…

Umweltgifte, zum Beispiel Bisphenol, können Gene, die eigentlich ausgeschaltet sein sollten, einschalten. Die Folgen sind noch weitgehend unbekannt.

Epigenetische Veränderungen können sogar “durch die Nase eintreten”:

…  Düfte reichen offenbar bis in die molekularen Tiefen von Gehirnzellen und schalten dort Gene an und ab. So ergab eine Untersuchung an Ratten, dass sich das Muster der Genaktivität in ihren Hirnzellen bereits dann ändert, wenn sie Kaffee nur riechen.

Soziale Erfahrungen (Traumata) scheinen die Genaktivierung zu beeinflussen, und auch das tatsächliche Verhalten der Individuen:

Nicht nur Ernährung oder Pharmazeutika hinterlassen Abdrücke in der epigenetischen Blaupause, sondern auch Verhaltensänderungen.

Und schließlich wird sogar psychisches (Un-) Wohlsein vererbt: Mäuse wurden  so gehalten, dass sie eine Depression entwickelten.

Das Bemerkenswerte: Den erworbenen Mangel an Lebenslust vererbten die Nager über mehrere Generationen hinweg. [Quelle]

Beim letzten Beispiel hat man allerdings m.E. den Bogen der epigenetischen Erklärung überspannt: Warum sollten Mäuse nicht auch “Erziehungseinflüssen” unterliegen; sie sind ja ähnlich wie die Menschen nach der Geburt hilflos und auf die (“optimale”) Fürsorge der Mutter angewiesen.

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  5. Nackensteak-Brinkhaus, Kichererbsen-Knabberspaß, Diätziel: Gesundheit

7 Kommentare zu “Wer braucht die Epigenetik?”

  1. […] zu (3.) wäre anzumerken, dass man gerade erst anfängt, epigenetische Veränderungen zu studieren. Wirklich verstanden sind diese Mechanismen allerdings wohl noch lange […]

  2. […] Wer braucht die Epigenetik? […]

  3. […] ist aber auch diese Theorie wissenschaftlich gar nicht haltbar und es gibt epigenetische Faktoren, die dann doch binnen kürzerer Zeit die Anpassung der Gene an das Angebot, das der Ackerbau […]

  4. […] Wissenszuwachs durch die Epigenetik ist noch relativ neu, und was wir über das Zusammenspiel von Umwelt und Genen bisher wissen, […]

  5. […] und was haben wir jetzt gelernt? Dass wir noch nach der Rolle der Epigenetik schauen müssten, jedenfalls nicht. Und schon gar nichts übers […]

  6. […] Forscher legten den Schwerpunkt auf epigenetische Faktoren und die frühe Entwicklung; offenbar … bewirken die Gene selbst lediglich bis zu einem Sechstel […]

  7. […] tangiert das Gebiet der Epigenetik; wieder einmal wird deutlich: Einen Meilenstein zu erreichen ist in der Forschung nicht immer […]

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  • Sabrina: Schön, dass du bei der Bilanz dabei bist! Mit Spirulina und Algen zu experimentieren,...
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