Zur Diskussion von Adipositas als fortgeschrittener Krise
Geschrieben am 17. August 2007 von KPBaumgardt
Nach dem gestrigen Beitrag, der auf gesellschaftlich unnötigerweise verdrängte und somit unbewusste Prozesse bei der Entstehung von Übergewicht hingewiesen hat, bietet es sich an, beim Abbau von Übergewicht an die Frage: „Wer bin ich eigentlich“, also die Identitäsfrage zu denken.
Als Diskussionsgrundlage dient hier ein Text von B. Grunberger: Von der Analyse des Ödipus zum Ödipus des Analytikers, in: Psyche 36 (1982, S. 515-540).
Die Antwort auf die Identitätsfrage: „Ich will wirklich sein, was ich potentiell bin“ erfordert zu ihrer Umsetzung im Leben die Nutzung des Triebschicksals und die Reifung über den Ödipus-Komplex. Einerseits ist die Ich-Beherrschung des Triebs eine narzißtische Leistung, andererseits kann sich nach der Triebbefriedigung eine narzißtische Enttäuschung einstellen, „so als ob das vollkommenste Liebesglück die Erinerung an das narzißtische Glück nicht auslöschen könnte. Vielleicht sollten Probleme wie Drogensucht, Ehekrisen … und Glücksspiele … unter diesem Aspekt betrachtet werden.“
Statt über gesunde und ungesunde Ernährung hätten wir Themen wie:
- Gibt es noch irgendwelche Lebensziele?
° - Welche (wie auch immer entstandenen, geformten) Wünsche gilt es zu befriedigen?
° - Was mache ich besser als die Eltern? – auch jeweils eine Generationsfrage
° - Stolz auf Selbstbeherrschung und Triebbeherrschung (nicht: Unterdrückung)
° - Erwartungen, Enttäuschungen, Symbiose
° - Das Nirwana-Prinzip kann warten
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Grunberger spricht hier übrigens ausdrücklich nicht von der Erinerung an den primären Narzissmus, sondern von der nicht ausgelöschten Erinnerung an das „narzisstische Glück“. Es dürfte jedenfalls nicht schaden, diesen Begriff in der „Suchtarbeit“ einzuführen, lässt er sich doch mit Hilfe des Mythos recht gut erläutern und, wiederum mit dessen Hilfe, als eine schöne(? – romantische?) Illusion herausarbeiten.
Das narzisstische Unglück wurde indiesem Zitat nicht sonderlich erwähnt und ist mit als Veranlassung für seine Patienten, in die Praxis zu kommen, zu verstehen.
Alle einzelnen Punkte auszuführen, wäre jetzt etwas zu monologisierend, sie könnten aber als Dikussionsthemen ausgeführt werden. Das Fasten, als irriger Versuch der Triebbeherrschung und narzistische Selbstüberhöhung in kulinarischer Keuschheit, wurde hier schon anggesprochen.
Die Entstehung eines (narzisstischen) Defizits ist bei der Spielsucht besonders gut zu beobachten: Das Prinzip funktioniert so, dass man mehr hineingibt, als man zurückgekommt, aber ständig Hoffnung besteht – oder geschürt wird – man könne doch noch mit einem Gewinn (Zuwendung) rechnen.
Weitere Veranlassungen psychischer Art wurden bereits dargestellt.
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[…] Massives Übergewicht wie auch die Essstörung fordert gleichzeitig die Auseinandersetzung mit der Krankheitslehre und den "Mechanismen" des Unbewussten. Immerhin, die Idee, das Verständnis des Narzissmus aus dem Mythos abzuleiten, wurde hier schon einmal vorgestellt, und, als eher schwere Kost, dessen Auswirkungen auf die Politik: "Die Auswirkungen der Verringerung des Wohlstands auf das Übergewicht und das Defizit der offiziellen Ernährungsberatung". Abgehakt, jedenfalls theoretisch, ist in diesem Zusammenhang auch das narzißtische Glück… […]
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