Schlankheitswahn und Hungerstoffwechsel
Geschrieben am 28. Juni 2010 von KPBaumgardt
Angesichts der fließenden Grenzen zwischen normalem Essverhalten und Essstörung erscheinen Diskussionen über den Hungerstoffwechsel eher überflüssig oder zu akademisch.
Wenn aber in essgestörten Kreisen schon die Information über den Hungerstoffwechsel abgelehnt wird, dürfte im Hintergrund stehen, dass man die Essstörung noch braucht und nicht wirklich aufgeben will.
31 Tage Hungern, oder Fasten haben Auswirkungen, die, je nach Betrachtungsweise, katastrophal oder höchst erstrebenswert sind.
Zum Hungerstoffwechsel kann ich hier einen Link anbieten, unter dem die physiologischen Umstellungen beim Langzeithungern dargestellt werden – unter anderem auch Schwund der Gehirnmasse.
Wann und unter welchen Bedingungen der Hungerstoffwechsel aber wirklich eintritt, ist dort auch nicht beschrieben, jedenfalls nicht in Hinblick auf Diäten, bei denen weniger Kalorien zu sich genommen werden, als der Körper braucht.
Beim Totalfasten (und nach manchen Quellen : Nach drei Tagen mit einem Kaloriendefizit von mehr als 500 Kcal) stellen sich diese Hungerstoffwechsel-Folgen ein:
- Gluconeogenese
Das Gehirn braucht einen ständigen Zustrom von Zucker, in Form von Glukose. Glukose-Reserven reichen für etwa 14 Stunden, danach wird die lebenswichtige Glukose aus Eiweiß synthetisiert: Es werden also Muskeln abgebaut. Auch Fett wird abgebaut – allerdings nicht Fett alleine. - Grundumsatz
Der Grundumsatz wird gedrosselt, der Körper „läuft auf Sparflamme“.
Da Muskeln auch im Ruhezustand Energie verbrauchen, ist es sinnvoll, Muskelmasse abzubauen, um den Grundumsatz zu senken.
Hungerstoffwechsel bedeutet hier auch: Weniger Bewegungs(-svermögen) und erhöhte Schläfrigkeit, teils verbunden mit traumartigen Visionen vom Schlaraffenland und Ähnlichen Wahnerscheinungen.
Aber auch die paradoxe Überdrehtheit der Hungernden kann auftreten, ein Gefühl von „High-Sein“ mit gestörter Selbstwahrnehmung. - Abnehmerfolge durch Hungerstoffwechsel
… zu diskutieren, wäre ethisch nicht vertretbar. Wenn es darum geht, Übergewicht abzubauen, sollte die Therapie auch bei den Ursachen, dem Denken, Fühlen und Handeln (Verhalten) ansetzen, die für die übergroßen Fettreserven verantwortlich sind.
Um den Hungerstoffwechsel werden viele Legenden gestrickt, und es kommt vor, dass jemandem, der “ganz normal” abnehmen will, mit dem Hinweis auf den Hungerstoffwechsel mit dem Abbau von Muskelmasse gedroht wird.
Solche undifferenzierten Hinweise sind jedoch beim Abnehmen kontraproduktiv. Ein leichtes Kaloriendefizit bei dennoch ausgewogener Nährstoffversorgung ist für den Körper kein Grund, in den Hungerstoffwechsel zu verfallen, zumal es noch wesentliche Wechselwirkungen mit der psychischen Befindlichkeit, den „Zuständen des Gemüts“ gibt.
Auch der Hinweis, der Körper sei biologisch so programmiert, dass er seine Fettreserven möglichst nie mehr hergäbe (eben wegen dem Hungerstoffwechsel) wird häufig erteilt – ist aber falsch:
Tiere, die über längere Zeit von Fettreserven (Winterschlaf!) leben, teilen diese Energie sinnvoll ein, bis es wieder möglich ist, an Nahrung zu kommen.
Ein “Sparmodus” des Körpers ist biologisch in bestimmten Not- und Übergangssituationen, aber erst ab einem bestimmten Kaloriendefizit sinnvoll.
Das Ziel, in kurzer Zeit soviel wie möglich abnehmen, ist nachvollziehbar.
Weil der Körper im oben beschriebenen Hungerstoffwechsel aber mit gedrosseltem Grundumsatz antwortet, führt zu wenig Nahrung aber in eine Sackgasse und zum Jojo- Effekt.
Wer eine Nulldiät anstrebt/durchführen will, sollte deshalb vorab über die Mechanismen des Hungerstoffwechsels informiert sein. Aussagen wie „Der Hunger geht dann bald vorbei“ sind zwar häufig, aber es ist unmöglich, zu belegen, dass sie allgemein gültig wären: Wenn der Hunger nach einer gewissen Zeit abflauen sollte, ist die Zeit, bis dieser Zustand eintritt, meist subjektiv zu lange, ist diese Hürde im Allgemeinen, und bei vorhandenem Nahrungsangebot, zu hoch.
„Hungerkuren“ können, da sie bleibende Gedächtniseindrücke hinterlassen, auch noch langfristige Folgen haben, zum Beispiel das Auftreten von Angst, wenn man an eine Einschränkung der Nahrungszufuhr auch nur denkt.
Wenn zusätzlich der Stoffwechsel durch Hunger-Diät-Experimente durcheinander ist, wird es schwierig, zu einer „geordneten Balance“ zu finden.
Sich den trügerischen Gedanken, dass Hungerkuren ja radikal helfen müssen, zu verbieten, könnte ein ersten Schritt zur Gesundung sein.
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[…] nicht mehr gewährleistet wäre. Außerdem soll ja niemand durch die Portionsdiät in den Hungerstoffwechsel versetzt werden – das macht nur krank. Mehr als 1.400 Kilokalorien ist bei entsprechender […]
[…] der Erforschung des Hungerstoffwechsels bis zu dieser Erkenntnis war es wohl ein weiter […]