Flexible Verhaltenskontrolle beim Abnehmen – der goldene Mittelweg oder zu dehnbar?
Geschrieben am 6. Mai 2008 von KPBaumgardt
Dr. Thomas Ellrott, Arzt und Ernährungswissenschaftler und Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie am Klinikum der Universität Göttingen, hat, was das Abnehmen betrifft, das Patenzrezept, nach dem wir alle bisher vergeblich gesucht haben, gefunden:
Die flexible Verhaltenskontrolle
Auf Deutsch: Dehnbar, beweglich. Es geht nun nicht mehr darum, feste, umumstössliche Grenzen ("ab heute keinerlei Diätsünden mehr, was mir am besten schmeckt, verbiete ich mir ganz und gar") zu setzen, sondern den Schuldgefühlen, die sich bei "Regelverstößen" automatisch einstellen, vorzubeugen: Dafür sind flexible Regeln ganz gut geeignet.
Man erlaubt sich also zum Beispiel eine (zwei?) Tafel(n) Schokolade in der Woche, statt sie sich ganz zu verbieten, um dann bei einem Fressanfall doch zu arg zuzuschlagen – "Sündigen mit Vernunft" sozusagen.
Auf den sittlich-moralischen Wert der Beichte bei Esssünden ist Ellrott leider nicht eingegangen, aber das könnte noch kommen: Eine neue Studie soll durchgeführt werden, für die noch Teilnehmer gesucht werden.
Flexibel Abnehmen
Starre Vorschriften lassen sich nicht durchgängig einhalten. Resultat ist das Gefühl der Unfähigkeit: Man fühlt sich unfähig, seine Diät einzuhalten, und hat noch dazu das Gefühl, jeder müsste es bemerken (woran heimliches Essen wenig ändert).
Diät-Missionare, die Andere mit ihren Diät-Programmen beglücken wollen, sind von dem, was sie erzählen, ähnlich überzeugt wie Versicherungsvertreter von ihren Produkten: Nichts bestärkt die eigenen Überzeugungen besser als der Versuch, sie anderen zu verkaufen. Somit sind Übergewichtige einer ständigen Flut von Belehrungen ausgesetzt, die alle nichts nutzen, und nur das Gefühl, wertlos und ein Diät-Versager zu sein, erzeugen.
Die Selbständigkeit der Belehrten wird dann nur noch symbolisch gefordert, aber praktisch untergraben.
Nun sollen Übergewichtige eine flexible Verhaltenskontrolle ausüben, und müssen vielleicht erst einmal üben, wie das geht:
Das Missverständnis, unter "flexibler Verhaltenskontrolle" "heute Kontrolle, morgen und übermorgen laissez-faire" zu verstehen, wäre fatal. Die Widersprüchlichkeit der Diät-Anweisungen grenzt sowieso schon an eine schizophrenogene Situation: Gegesätzliche Anweisungen, "Hüh und Hott" ergehen gleichzeitig, ein und dieselbe Zeitschrift empfiehlt kohlehydratfeie Diät im einen Artikel, fettfreie Diät im nächsten.
Der Leitsatz von der "flexiblen Verhaltenskontrolle" ist nicht mehr so ganz taufrisch: Unter der Überschrift "Hilfe für übergewichtige Kinder – Abnehmen und Gewicht halten" wurde schon 2004 berichtet.
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Das ist doch mal eine positive Nachricht, dass diese Dinge jetzt mal an die Öffentlichkeit gelangen. In der Ernährungspsychologie ist die flexible Kontrolle schon seit bestimmt 20 Jahren bekannt, außerhalb davon will bis heute irgendwie niemand ernsthaft etwas davon wissen.
Und die praktische Umsetzung ist in der Tat nicht ganz einfach und scheitert auch in vielen Fällen am Widerstand der Betroffenen. Es ist nun mal schwierig, die fest verankerten Vorstellungen von Disziplin und Kontrolle, die mit dem Abnehmen verbunden sind, zu überwinden, und sich seine eigenen Grenzen aufzustellen, innerhalb derer man sich dann frei bewegen kann. Wer es schafft, der hat dann allerdings so gut wie gewonnen. Es scheint aber nur in Ausnahmefällen ohne Unterstützung zu gelingen. Wenn es eine bessere Methode gäbe, dann könnte man der Psychologie an dieser Stelle vorwerfen, sie würde sich selbst unentbehrlich machen. Leider (oder Gott sei Dank) gibt es diese bessere Methode noch nicht.
Dem kann ich nicht viel hinzufügen. Mit Büchern kann man schlecht reden, von daher halte ich den persönlichen, unterstützenden Kontakt auch für unentbehrlich. immerhin geht es um nicht weniger als eine „persönliche Wende“, wenn der bisherige Weg ins Unglück geführt hat.
Hab zu „flexible Verhaltenskontrolle heute mal
http://www.ifap.de/bda-manuale/adipositas/therapie/ernaehrung.html
angelesen – das ist eher an Ärzte gerichtet, aber die haben nicht die Zeit dafür, geschweige denn, sich in der Therapie danach zu richten.
Das „kohl-e-hydratfrei“ war nur ein Tippfehler, oder?
@Astid: mindestens 20 Jahre – solange weiss das ja ich schon:-) (naja, fast…)
sorry – Astrid… soviel zum Thema Tippfehler…
Tippfehler gibt es immer wieder. Das hängt manchmal auch mit der Unlogik der Sprache zusammen; Karl Valentin wollte ja einmal die Semmelknödel durch „Semmelnknödel“ oder auch „Semmelnknödeln“ ersetzen.
Und mit dem Kohlenstoff ist das auch schwierig; weil der Stoff, aus dem er besteht, doch Kohle ist, und wenn die hydriert wird …
Da sieht man, wie wichtig die flexible Rechtschreibkontrolle ist, trotz aller Reform 😉
[…] zur flexiblen Verhaltenskontrolle: […]
[…] Bedürfnisse abwehrendes Selbst gegenüber stehen dürfte, zu tun. Da wirkt die Empfehlung zur flexiblen Verhaltenskontrolle auch etwas hilflos und […]
[…] flexible Verhaltenskontrolle scheint mir inzwischen ein veraltetes Konzept zu sein, das bei denen, die es nicht beherrschen, nur […]