Märchenstunde: Gut gelaunt abnehmen mit mehr Genuss und ohne Verzicht = Adipositastherapie

Unter der Überschrift

Mehr genießen, weniger wiegen

finden wir heute bei focus-online einen Neun-Punkte-Plan:

Und so sieht die  nicht ganz frische Liste in der Rubrik “richtig  abnehmen”aus:

1. Mehr trinken
2. Mehr Eier essen
3. Mehr Rhythmus in den Mahlzeiten
4. Mehr Gänge im Menü
5. Mehr Salat und Gemüse essen
6. Mehr Bewegung für mehr Muskeln
7. Mehr Luxus
8. Mehr Schlaf
9. Mehr Spielraum [Quelle]

Schauen wir geschwind bei “Mehr Spielraum” nach: Da findet sich, unter Bezug auf die “guten Vorsätze”, dieses Zitat:

Wenn jemand es über sechs Monate schafft, an vier Abenden pro Woche, nach 18 Uhr nichts mehr zu essen, ist das ein größerer Erfolg, als wenn er den Vorsatz nach der zweiten nicht erfolgreichen Woche komplett verwirft. „Nur wer sich Verhaltensspielräume zugesteht, kann ein Vorhaben über lange Zeit verfolgen“, erklärt Ellrott. „Dann überdauert ein Vorsatz sogar Ausnahmesituationen – positive, wie ein Urlaub, oder negative, wie eine Krise.“

Fraglich, ob gerade dieser Vorsatz, “Nichts mehr essen nach 18 Uhr” überhaupt etwas nützt.
Dumm auch, dass die guten Vorsätze schneller dahinschmelzen als Schnee und Eis. Wer auf die guten Vorsätze seiner Klienten baut, baut auf Sand; der Ernährungspsychologe ist in der Hinsicht ein Fachmann.

Aus seinem Buch (1998 !):

Adipositastherapie: Aktuelle Perspektiven (Taschenbuch)
von Thomas Ellrott (Autor), Volker Pudel (Autor)

Die für den Langzeiterfolg entscheidenden Strategien …, flexibles Essverhalten und regelmäßige physische Aktivität lassen sich nicht über ein Rezeptformular allein vermitteln.

Da war schon die Einleitung  schludrig geschrieben: Was soll in diesem Zusammenhang das Wort "allein?" Wo bleibt neben der erwähnten physischen Aktivität die psychische Aktivität? Gilt es nicht, noch weitere geistige Prozesse in Bewegung zu bringen?
Es ging um die Rolle des Arztes und Formen der Therapie.

Der Arzt kann … in Zusammenarbeit mit Psychologen, Ernährungsfachkräften und Bewegungstherapeuten ein kompetentes Team bilden, das dem übergewichtigen Patienten über einen längeren Zeitraum die notwendige Unterstützung für eine erfolgreiche Verhaltensstabilisierung bietet.

Man muss sich die Szene einmal bildlich vorstellen: Da hat ein Team von hoch- und höchstbezahlten Fachleuten nichts anderes zu tun als dem adipösen Patienten Händchen zu halten, oder mit dem Sprungtuch parat zu stehen. Die notwendige Unterstützung – das Buch ist 1998 erschienen – ist in den verstrichenen 12 Jahren jedenfalls nicht definiert und nicht organisiert worden.

Der Arzt kann genau das, was er angeblich könnte, eben nicht. Er arbeitet üblicherweise mit den genannten Berufsgruppen nicht zusammen, "pfuscht ihnen nicht ins Handwerk", wie auch umgekehrt Bewegungstherapeut, Psychologe, Ernährungsberater nicht im "Team" mit dem Arzt arbeiten.
Das Team ist keine Realität, sondern ein frommer Wunsch, wird aber als Lösung dargestellt. Da es keine praktikable Lösung darstellt, war der Lösungsansatz falsch.
Insofern geschieht in der "Adipositastherapie" das Gleiche wie beim Individuum, das abnehmen will: Fehler werden begangen, aber nicht reflektiert. Solche Fehler, aus denen man nicht lernt, sind die schlimmsten.

Eigentlich sollte man, wenn der erhoffte Lösungsweg sich als falsch herausstellt, von Vorne anfangen, und nicht immer so weitermachen wie bisher, aber, wie wir sehen, setzt Herr Ellrott weiterhin auf seine alten, falschen Prämissen.

Ähnlich sieht dies möglicherweise der zweite von zwei Rezensenten zu diesem Buch:

Leider wissen Ärzte zu wenig über diese Erkrankung und ignorieren sie dementsprechend. Außer einer Bemerkung in der Kartei "Adipositas" wird nichts unternommen.
Der Leidensdruck bleibt nach wie vor unberücksichtigt und wird auch in dem Buch zu wenig berücksichtigt.
Was ich vermisse ist ein Verzeichnis, welche Ärzte sich mit dieser Erkrankung wirklich auskennen und genug Einfühlungsvermögen haben und den Patienten begleiten.

Auch hier wieder: Die Sehnsucht nach der gütigen Hilfe für den leidenden Patienten. Diesmal soll sie nicht vom Team aus Arzt, Bewegungstherapeut, Psychologe und Ernährungsberater, sondern vom einfühlsamen Arzt.
Auch dieser Wunsch nach dem empathischen, verständnisvollen Arzt könnte platzen wie eine Seifenblase.
Wie wäre es, wenn die Übergewichtigen einmal angefangen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, statt es den ’Fachleuten” zu überlassen?  
Ein Ernährungspsychologe mag in der Lage sein, für sich Lösungen und Wege zu finden – und in der Hinsicht leidet er keine Not.

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