Der gesunde Speiseplan: Ernährungsmedizin und Gruppendynamik

Neuere Publikationen zum gesunden Essen tendieren dazu, sich bei Aussagen über den gesundheitlichen Wert bestimmter, einzelner Lebensmittel oder Speisen sehr zurückzuhalten: Das Zusammenspiel der vielen unterschiedlichen Komponenten sei letztlich zu komplex, um verbindliche, allgemein gültige  Aussagen zu treffen.
Trotzdem wird fleißig weiter geforscht, gelehrt und spekuliert.

Die objektive Ernährungswissenschaft kommt an ihre Grenzen. Dabei kommt es lediglich darauf an, was dem Einzelnen bekommt, verträglich ist, und mit einem gewissen Genuss satt macht.
Was unter “optimaler Ernährung” zu verstehen ist, ändert sich ohnehin im Lauf des Lebens, von der Muttermilch über den Kinder-Brei zu “richtigem Essen” und, wenn es schlecht läuft, wieder zum Brei oder gar zur Ernährung mit der Magensonde.

Der gemeinsame Tisch

Dabei hat zunächst niemand einen eigenen Platz am Esstisch, sondern erst später vielleicht einen Hochstuhl oder einen mit Kissen erhöhten Sitzplatz.

Der “Stammplatz” wird erst im Laufe der Zeit festgelegt, damit auch die Rolle, die man in der Familie spielt – und die auch im Laufe der Zeit einer Dynamik unterliegt.
Es ist ein großer Unterschied, ob man eingeladen wird, oder sich seinen Platz erobert, wer die Speisen verteilt, ob man sich am Tisch aus dem Topf nimmt, oder die Teller in der Küche füllt, und in welcher Reihenfolge; typischerweise zum Beispiel auch, wer welches Stück vom Braten bekommt.

Ein ganz zentrales Element dabei ist die Partnerbeziehung der Eltern, was in der Überlieferung deutlicher als heute ausgesprochen wurde, nämlich, worauf es bei der Partnerschaft (als zentrales familiäres und gesellschaftliches Element)  ankommt.
Somit isst man also immer in einer mehr oder weniger großen, mehr oder weniger funktionierenden Gemeinschaft, die mehr oder weniger gemeinsame Ziele verfolgt, “an einem Strick zieht”.

Gruppenerfahrungen: Gruppennormen

“Gruppenerfahrungen” zu machen und zu erforschen ist en spezielles Fach innerhalb der Psychologie. Dabei kann es um die Struktur, Hierarchie, Rivalität, Zusammenarbeit der Gruppe, darum, wie weit der Einzelne in der Gruppe (an-) erkannt wird gehen und darum, wer welchen Beitrag zum doch möglichst positiven Gruppenergebnis liefert.

Der letzte Punkt bei der Erforschung der Gruppe als Gruppe lässt sich auch mit der Zubereitung einer Suppe vergleichen: Jeder bringt etwas ein, ein Gemüse, Gewürz, einen Fleischbrocken, eine andere Einlage, und auch Wasser und Salz sind, last not least, wichtig – mit dem Ergebnis, dass jeder, wenn die Suppe eine bestimmte Zeit gebrodelt oder gezogen hat,  für eine gewisse Zeit vom Ergebnis, der Erfahrung zehren kann.

Die Mahlzeit und das soziale Gefüge

Die gemeinsame Mahlzeit ist zum Auslaufmodell geworden. Die Zahl der Single-Haushalte nimmt zu, Tischkultur ist zum selten gepflegten Luxus geworden. Snack und Schokoriegel, alleine “genossene” Zwischenmahlzeiten ersetzen den “Apfel zwischendurch” von früher, den die Kinder selbstverständlich, wie das Pausenbrot, bekommen haben.

Die Ernährungsforschung und die unbewusste Bedeutung des Essens

Kann die Zwischenmahlzeit, wie angedeutet, auch für eine gewisse kindliche Autonomie stehen (mit ihrer Hilfe können Kinder die Zeit, die sie “draußen” beim Spiel verbringen, verlängern), stehen die Hauptmahlzeiten im Zeichen der sozialen, familiären Einbindung.
In diesem Zusammenhang werden Rollen geübt und – neben der Nahrungsaufnahme – (befriedigende) soziale Beziehungen gepflegt: Eigentlich beginnt das gemeinsame Mahl erst, wenn jeder an seinem Platz ist.
Neben der “objektiven” Wirkung der Speisen gibt es andere Faktoren, die sich auf den Appetit auswirken, etwas wenn bei Tisch Konflikte ausgetragen werden, oder unangenehme Erlebnisse zum Thema werden.

Für Singles stellt das achtsame Essen eine ähnliche, wenn nicht größere “Aufgabe” dar.

Das Defizit der Ernährungsempfehlungen

Zu viele Ernährungsempfehlungen können krank machen. Was nicht direkt ungesund ist, kann guten Gewissens empfohlen werden, aufgrund entsprechender Statistiken etwa eine mediterrane Ernährung. Aber alles Olivenöl der Welt ist nicht so wichtig wie die Stimmung, die Atmosphäre während der Mahlzeit.
Dass zwischenmenschliche Bedürfnisse wie die nach Geborgenheit und Anerkennung, wenn sie nicht befriedigt werden, eine Art Hunger erzeugen, schlägt sich letztlich in der Kalorienbilanz nieder: Nicht als Verbrauch, sondern als “Kalorienbedarf” und Zufuhr.

Kalorie (lat. calor „Wärme“; Einheitenzeichen cal) ist eine alte Maßeinheit der Energie, insbesondere der Wärmemenge Q, mit mehreren leicht

Die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, sind eigentlich gar nicht bedenklich knapp. Eng wird es lediglich, wenn wir die Ressourcen nicht intelligent nutzen und auf immer mehr Wachstum und Verschwendung setzen.
Aber das soziale Klima ist kälter geworden. Konkurrenz und immer mehr Leistungsanforderungen auf der Arbeit, Intrigen (hat es auch schon immer gegeben), Zwietracht und Misstrauen, Neid und Missgunst bestimmen es, während das gesellschaftliche Kapital von Spekulanten verzockt wird.

Zwischenmenschliche Wärme wird jedenfalls seltener, und die Figur eines “gütigen Königs” oder einer guten Fee kennen wir nur noch aus dem Märchen.

Was wir essen – oder wie wir essen

Letztlich kommt es nicht nur auf Empfehlungen an. Natürlich kann man feststellen, dass ein Hamburger nicht direkt giftig und also essbar ist.

Wichtiger oder ebenso wichtig ist, wie, unter welchen Umständen wir essen, und ob die sozialen Bedürfnisse befriedigt werden können, oder ihren Anteil am “Hunger” haben.

Ob die neuzeitlichen Ernährungsempfehlungen und Ernährungsstudien einen Fortschritt für die Menschen darstellen, darf also bezweifelt werden. 

Dabei kommt es auch nicht nur auf die richtigen Ernährungs-Empfehlungen an, sondern darauf, zu angemessenen Strukturen im sozialen (=gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen)  Bereich zu finden. Empfehlungen reichen hier nicht, man (gemeint sind auch die immer nur Empfehlungen aussprechenden Institutionen) muss etwas dafür tun.

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Ein Kommentar zu “Der gesunde Speiseplan: Ernährungsmedizin und Gruppendynamik”

  1. […] für uns selbst ziehen können, zu beantworten. Ergänzend gibt es hier auch noch den Artikel “Wie wir essen – was wir essen”. …  Elizabeth Denney-Wilson von der Universität Sydney … hat für die Vorliebe der […]

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