Salud, Herr Spahn! Salut dem Gesundheitsminister! Plus Rezept für einen teilfermentierten Salat „mit allem“

Vorläufig noch unvorstellbar ist hierzulande, was die „Zeit“ über Chile berichtet: Dort werden Lebensmittel verbannt!

„Steht auf einem Produkt „Viel Zucker!“, ist es in Schulen verboten. Genau wie Grinse-Tiger auf Frühstücksflocken. Kein Land reguliert härter, was seine Bürger essen.“

 

Dabei gibt es in Chile keine Verzehrampel, sondern Warnhinweise, nicht zu grell, aber durch die einem Stop-Schild nachempfundene Form auffallend:

Übersetzen wir das „Alto“ mit „Zu viel“. Im normalen Sprachgebrauch finden sich Sätze wie

  • „Vuelas demasiado alto, te quemarás.“ (Du fliegst zu hoch, Du wirst verbrennen.)
  • „Era bastante alto Tenía una máscara.“ (Er war ganz schön groß und trug eine Maske.)

Ein Blick auf die Chilenische Gesundheits-Ministeriums-Webseite zeigt relativ bald, dass der Kampf gegen die Adipositas („obesidad“) ernst genommen werden soll, die „schärfste Waffe“ hierbei: Das Lebensmittelgesetz, in dessen Folge die gezeigten Aufkleber auf die Produkte der Lebensmittelindustrie im Bedarfsfall geklebt werden.

Der Hinweis “ALTO EN” hat bereits zu Veränderungen der Rezeptur geführt, bei Produkten, die die Industrie nicht mit diesen schwarzen Warnhinweisen versehen haben möchte.

Die Zuckersteuer hat bei diesem Konzept keine Priorität, wäre aber machbar, wenn erforderlich. Wer „Zuckersteuer“ als ersten Schritt in eine „Ernährungswende“ anstrebt, fängt mit einem späteren Schritt an, vergisst den ersten, und kommt in Stolpern.

Nur gelegentlich kommt die Geschmackrichtung „bitter“ noch zur Geltung. Hier: gesalzene Grapefruit – denn es gibt ja auch die „Salzzitrone, was ganz eigentlich ein Geheimtipp von Delikatesse ist, wenn das Rezept stimmt. Dass die perfekte Salzzitrone eine fermentierte ist, darauf kommen die wenigsten, denn so etwas steht nicht im Supermarkt zum Verkauf.

 

Effektiv zurückgedrängt werden sollen Zucker, gesättigte Fettsäuren, Salz und hochkkalorige Lebensmittel – hierzulande mehr Gegenstand bei Small-Talks als wirkliche Aktion. Das „Warum?“ in diesem Zusammenhang wird so begründet:

Es geht um die Lebensqualität der von Folgeschäden bedrohten oder betroffenen „übergewichtig Erkrankten“, und deshalb arbeitet das Gesundheitsministerium an der Förderung gesunder Lebensgewohnheiten und der Schaffung gesunder Ernährungsumgebungen.

„… calidad de vida. En ese sentido, el Ministerio de Salud trabaja en la promoción de hábitos de vida saludables y la generación de entornos alimentarios saludables.“

 

Ich denke, der chronische Charakter und das Ausmaß der Adipositas rechtfertigt den Gebrauch einer Notbremse – die ist in unserem System zwar nicht eingebaut, aber nachrüstbar (und es gibt etliche Möglichkeiten, einen Zug, der in die Katatrophe rast, anzuhalten – „weiter wie gehabt“ ist es nicht, und abwarten verhindert keinen Unfall.

Wird eine relativ kleine Grapefruit kompakt im Glas verstaut, bleibt noch Platz für mehr – warum nicht für Radiccio?
Zuoberst schwimmt hier nicht ein toter Fisch, sondern liegt ein Speckstein, der zufällig passt und den Salat beschwert.

 
 

Ein Kommentator fand Julia Klöckners Positiom, die gegen die deutlichere Kennzeichnung ungesunder Lebensmittel ist, verlogen.
Das könnte aber auch ein ungerechter Vorwurf sein: Wenn die Landwirtschafts-Ernährungsministerin den oben verlinkten Zeit-Artikel nicht kennt, muss sie ja bei „Lebensmittelkennzeichnung“ an die Ampel denken – und da bekommt Olivenöl einen roten Punkt, weil es Fett enthält.
Das hätte ich auch für „überfürsorglich“ und einfach dumm gehalten, zumal es für die Deutschen kein „Halt“ gibt, sobald sie Punkte sammeln können.
Warnt man aber vor gesättigten Fetten, wird das Warnwesen schon objektiver. Doch vor allem geht es um die Kinder:

Wenn die Lebensmittelindustrie mit Produkten wie „Super-doopper-funny-Fruit-Loopylies“ in „kindgerechter“ Verpackung sich sie wie eine Figur im Märchen benimmt, die unschuldigen Kindern vergiftete Äpfel andreht, ist es für verantwortliche Akteure schlichte Pflicht, einzugreifen und die Kinder zu schützen.
In Chile ist für diesen Schutz der Kinder die parteilose Carmen Castillo Taucher, die Gesundheitsministerin, zuständig.

Bitterferment und sanft gärender milchsaurer Brottrunk im Eckchen – man sollte das Kvas mal in eine Blindverkostung schmuggeln oder erkundigen, ob es eine veritable Weinkönigin unerschrocken testet, oder ob sie schon bei der Vorstellung das kalte Grauen befällt.

 

Brasilien imponiert durch einfach-eindeutige Ernährungsempfehlungen, Chile mit eindeutig hilfreicher Lebensmittelkennzeichnung, Finnland bietet Besispiele für gesündere Lebensart durch reformierte Beschulung – und die deutsche Politik will weder das Rad neu erfinden, noch es kopieren.

 

Ein Kommentator hatte gemeint, in unserer Politik herrsche das kollektive Scheuklappensyndrom – statt von Chile zu lernen, beharre man auf alten Standpunkten.

Dafür spricht: Bei den LINKEN sind die bösen Profitinteressen ursächlich für die Misere, bei den RECHTEN sind Adipöse selbst schuld, weil disziplinlos, in der rechten Mitte denkt der Gesundheitsminister, dass auch wer kein Geld hat, alles hat, was er zum Überleben braucht, in der politischen Mitte haben ein paar Pfund mehr noch nie geschadet, Sozialdemokraten sind für Esskultur und mit Currywurst mit Pommes zufrieden, dazu ein Helles und der Korn, der in der Parteizentrale gebrannt wird, Grüne denken nicht über den nächsten Veggie-Day hinaus und auf der Leitungsebene sind andere Fragen wichtiger: Pipelines, Panzer, Posten, Putin, Pratwurst, Programme, Propaganda. Oder so ähnlich.

 

Die Zutaten sind bekannt – doch nicht genug. Und was daraus machen? Kochen, backen, grillen, dörren? Gleich wird das Rätsel aufgelöst!

 

Um es nochmals zu sagen: Es geht, der Gesundheit zuliebe, um dieFörderung gesunder Lebensgewohnheiten und die Schaffung gesunder Ernährungsumgebungen.

Da mag Frau Klöckner wähnen, ein Lebensministerium zu führen, selbst wenn sie sich demnächst traut, ihren Amtssitz in „Liebesministerium“ umzubenennen (was ja durchaus konsequent wäre, gäbe es uns ohne die Liebe nicht – also soll auch die Liebe Priorität genießen) steht die Förderung gesunder Lebensgewohnheiten und die Schaffung gesunder Ernährungsumgebungen für Alle noch aus.


Unfermentierte Zutaten: Oben links: Gekochtes Hähnchenfleisch, unten rechts: Buchweizennudeln, Vollkorn.

Jens Spahn hat neulich auf dem Ärztetag in Weimar gesprochen und gemahnt, sich mit Telemedizin zu befassen, ehe wir bei Google (oder von künstlichen Intelligenzen) betreut werden. Der Ex-Siemens-Manager Dürr hat ja schon den Blutproben-Zapfautomaten und den Impf-Roboter angekündigt…

Leider hat der Gesundheitsminister nichts zur Förderung gesunder Lebensgewohnheiten und der Schaffung gesunder Ernährungsumgebungen gesagt, obwohl es sich doch um Umstände handelt, die „ursächlich für Gesundheit“ sind.
Und was ist das Wichtigste im Leben?

 

 

<Der folgende Abschnitt enthält: Ironie>

Also doch. Machen wir eine kleine Strukturreform: Aus „Landwirtschaft, Forsten & Ernährung“ wird „Land & Leben“, aus dem Geundheitsministerium das Glücksministerium.

 

Oder, alternativ:

Verteilen wir die Zuständigkeiten um: Neues Spiel, neues Glück.

Die Entwicklungshilfe kümmert sich um globale Futtermittel unter dem Aspekt „Eliminierung von Fluchtursachen – Sozialstandarts in der globalen Landwirtschaft“, Verfütterbare Abfälle gehen an „Landwirtschaft“, wo man ein Eierlabel Klasse XA einführt – abfallverwertendes Huhn in Kleingruuppe mit Auslauf. Damit wird eine alte Forderung aus dem Umweltministerium, alten Kaffeesatz nicht sinnlos zu verheizen, endlich erfüllbar.

Für die Massenverpflegung bleibt formal Frau Klöckner zuständig, aber Jens Spahn erweitert das ihm zugeschlagene Ressort „gesunde Ernährung“ rasant und schmilzt „ordinäre Massenverpflegung“ einfach ein.

</Ende des Ironie-haltigen Abschnitts>

 

Salat mit süßen, sauren, scharfen Komponenten, rohem und gekochtem, Eiweiß, Kohlenhydrate, Pro- und Präbiotika, Kefir-Sauce, Kräutern und Ballaststoffen. Keine Frage, das muss ja gesund sein.

 

Dass die politische Zuständigkeit für „gesunde Ernährung“ ins Ministerium für Gesundheit gehört, sieht auch die politische Redaktion des Ärzteblatts so:

Für das Patientenwohl wäre es von Vorteil, würde das BMG beim Thema gesunde Ernährung die Federführung übernehmen. Hier sollte sich Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) einmischen.

Ich hoffe doch, dass Jens Spahn sich dieser Aufgabe motiviert stellt – hier gibt es viel zu verändern, zu verbessern und es gilt, über die bisherige „Projektitis“ des Ministeriums, das unter Christian Schmidt hinsichtlich „verbraucherischer Aufklärung“ nur ein paar Seifenblasen zustande gebracht hatte, weit hinauszuwachsen.

Zum „von Chile lernen“ gehört auch eine gute Portion Vergangenheitsbewältigung, denn kein bundesdeutscher Einspruch war in den siebziger Jahren, als dort die Demokratie überrollt wurde, geltend gemacht worden:

allende-zitat-intelligenz

Die Zusammenhänge von Wertevorstellungen, Vernunft und Intelligenz sind nicht immer einfach; wenn jetzt in den USA die „Food an Drug Agency“ Zuchtanlagen für genmanipulierten Lachs zulässt, stehen die Lobbyisten, die nur darauf geiern, vor der Kamera in ein Genfischbrötchen zu beißen, längst bereit.

Wenn genetisch veränderte Lebewesen gut für den Kurs der „Erzeuger“, also “ ökonomisch vernünftig“ sind, sind sie deshalb – berücksichtig man „das Ganze“ – nicht automatisch insgesamt gut.

 

Man darf auch nie die Frage nach den Alternativen vergessen, und schon gar nicht das Nachdenken als solches, denn

Um „Lebensqualität und die Schaffung gesunder Ernährungsumgebungen“ geht es als Nahziel – um das noch einmal „einzupauken“.

Die Zuckersteuer-Befürworter und Unterschriftensammler, Ernährungsberater und Petitionsersteller peilen das  erst gar nicht an – werden für Gesundheit im weiteren Sinne nicht viel leisten.

 

 

 

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  • Sabrina: Schön, dass du bei der Bilanz dabei bist! Mit Spirulina und Algen zu experimentieren,...
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  • Julia: Da hast du recht, was das Fermentieren angeht, bin ich Spätzünderin 😂
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