Motivation mit Bärlauchknödel und Pilzen oder Grießbrei-Apfelmus?
Geschrieben am 6. Mai 2018 von KPBaumgardt
Reichlich, allzu reichlich ist mal wieder das Angebot an Ernährungsthemen, es reicht für einen mehrgängigen Artikel.
Fangen wir mit der Schulverpflegung an:
Idstein – zum Angebot der Mensa unterm Hexenturm gehört auch „Grießbrei mit Apfelbrei“ – mit „Apfelmus“ vermneidet man ein doppeltes „Brei“ – vorbildlich?
Nur in Bezug auf Nordrhein-Westfalen hieß es beim WDR zur Schulverpflegung: „Schlechte Noten fürs Schulessen„. Den Anspruch, dass den Kids eine gesunde Ernährung geboten wird, kann man stellen, wie diese Forderung erfüllt wird, steht auf einem anderen Blatt.
Kosten soll es nicht so viel, aber kassiert wird doch, die Teilnahme ist nicht verpflichtend, bei den Älteren sind Bistros oder Müslibars beliebt – da kann das Essen doch eigentlich nicht allzu teuer werden, wenn man die Lehrer bei der Haferflocken-Ausgabe und beim Äpfelverteilen einsetzt. Oder verantwortungsvolle Altschüler, oder freiwillige Eltern, die sich ein Taschengeld verdienen möchten, also den gesetzlichen Mindestlohn.
Von der Verbraucherzentrale (Ursula Plitzko, Ernährungswissenschaftlerin) kam dieses Statement:
„Wir finden, dass zum Beispiel süße Getränke oder Süßigkeiten an Schulen nicht verkauft werden sollten“,
In meiner Schulzeit waren gefüllte Mini-Kuchen und 250-ml-Päckchen Kakao noch der Renner, keine Verbraucherzentrale hat je ein Veto eingelegt, und noch immer scheint der Kioskbetreiber mehr zu sagen zu haben als das Kollegium.
Alternativ könnte man auch einen Food-Truck auf dem Schulhof zulassen und ein „Pfannkuchen-all-you-can-eat“ veranstalten. Mit dem Kefir-Quarkaufstrich verliert das Gericht allerdings seine Eignung als Fingerfood – Kleckerfood ist hier nur bedingt empfehlenswert.Dabei könnte man doch die Entscheidung über Müslifreiheit (Lehrmittelfreiheit gibt es ja auch) regionalisieren, damit demokratische Willensbildung einüben. Also die Speiseplangestaltung in die Hände derer legen, die es betrifft.
Von den Schwierigkeiten bei der „Mensa-Ausschreibung“ an einer Frankfurter Gesamtschule hatte ich hier schon mal berichtet; die Stadt will künftig neue Prioritäten setzen –
… Damit betraut wird eine Arbeitsgruppe, die bis Herbst die Kriterien für die Auswahl des Kantinenbetreibers überarbeiten soll. In der Arbeitsgruppe sollen Vertreter von Stadtschulamt, Gesundheitsamt, Bildungsdezernat, Stadtelternbeirat, Stadtschülerrat, dem Verein Umweltlernen und dem Ernährungsrat sitzen. Die neuen Kriterien könnten dann ab dem kommenden Jahr greifen.
Im Westfalenland kann die demokratische Speiseplangestaltung aber auch warten, bis das demokratische Selbstbewusstsein den Regionalcharakter durch und durch bestimmt; bislang gibt es im schönen Landstrich als gesungenes Heimatbewusstsein diese Landeshymne:
Wir haben keine süßen Reden
…
und haben nicht so bald für jeden
den Brudergruß und Bruderkuß.
…
Gradaus, das ist Westfalenbrauch !… uns’re Frauen, uns’re Mädchen,
mit Augen blau wie Himmelsgrund,
sie spinnen nicht die Liebesfädchen
zum Scherz nur für die müß’ge Stund
Diese traditionelle Rollenverteilung zwischen den fraglos gleichberechtigten Geschlechtern soll beibehalten, wer will, der Haushalt muss so oder so gemacht werden, am Besten gekonnt und damit kräfteschonend.
Im Radiobeitrag „Zeit und Geld sparen – Hauswirtschaften wie die Profis“ macht ein junger Mann den Vorschlag, diese Fertigkeiten in einem Crashkurs zu vermitteln – für Interessierte.
Wer so vorbereitet ein Studium beginnt, kann sich wesentlich entspannter und autonomer den gestiegenen Anforderungen stellen – ein Argument mehr für „Hauswirtschaft“ an der Schule – natürlich kombiniert mit dem Schulmensa-Engagement der SchülerInnen.
Ob dann die Schulmensa gleichzeitig zum leistungsfähigen, wirtschaftlich erfolgreichen Wirtschaftsbetrieb entwickelt wird oder nicht, kommt auf den Willen der Beteiligten an.
Naheliegend wäre, Kantine und Schulgarten zu verkoppeln, auch, um im Biologieunterricht zum konkreten, lebenden Organismus zu kommen – ein Stoffkreislauf auf dem Papier oder Monitor ist etwas anderes als ein Garten, wo beispielsweise die Kartoffelernte von unterschiedlichen Faktoren, die die SchülerInnen praktisch ermitteln können, abhängt.
Spannende Experimente, wie Stickstoff-Zufuhr durch Klee-Pellets vs. Brennesselzubereitung und vieles mehr könnten Interesse für die berufliche Zukunft im biologischen Landbau wecken und gleichzeitig die wissenschaftliche Methodik vermitteln.
Von Experimenten zu „gesunde Ernährung“ ist jedoch abzuraten – allenfalls wäre eine sozialpsychologische Untersuchung über Sahnekonsum und Sahnesteuer ethisch problemlos möglich – bei einer analogen Zuckersteuer-Studie – ein paar Ärzte fordern das gerade – ist zu bedenken, dass alleine das Gefühl, etwas gefordert und folglich getan zu haben, auf den Holzweg führt:
… für Jahrzehnte riet die amerikanische Regierung zu fettarmer Ernährung, was viele Konsumenten zu den gängigen „low-fat, high-sugar“-Lebensmitteln greifen ließ.
Das heißt, der Zuckerkonsum ist nicht vom Himmel gefallen, bekämpft man ihn, die Folge falscher Anleitungen, bekämpft man nicht die Ursache des „Fehlverhaltens“. Mit lieblos zubereiteter Gemeinschaftsverpflegung und Werbung, die Verführbare in sensiblen Wachstumsphasen anspricht, werden auch Normen gesetzt, durch Steuern ein wenig gelenkt, wird die theoretisch denkbare Selbststeuerung im Keim erstickt.
Ich möchte es Überheblichkeit und Hochmut nennen, wenn ein Verein mit ein paar Fachleuten eine Presseekonferenz abhält und diese PR-Kampagne als „Breites Bündnis“ bezeichnet. Dieser „Anti-Zucker-Alarmismus“ führt sachlich nicht weiter, informiert über nichts, was nicht alle schon wüssten, bringt mit ein paar Schlagzeilen mehr die Promis als das gesellschaftliche Problem zur Geltung, macht Stress und der Kanzlerin wie der „Lebensministerin“ nur Arbeit 😉
Das ist ungefähr der gleiche Stil, in dem „Landwirtschaft und Ernährung“ zu „Leben“ vernuschelt wird, schlimmer:
„#Lebesnministerium“ haschtaggt wer-auch-immer im Haus, dem Julia Klöckner vorsteht.
Man kann sich auch ohne Zuckersteuer vom Zucker befreien. Genauer: Von der Zuckersucht. Entweder, indem man einen seitenlangen Artikel über die Gemeinheiten verfasst, die es in Verbindung mit Zucker gibt, oder indem man ihn aufmerksam liest.
Bärlauch-Ricotta-Knödel auf dem Blog von Schlemmerella hatten mich zu dem grünen Kartoffelknödel mit „Knödelteig“ aus „industrieller Fertigteig“ und geschenktem Erste-Klasse-Pesto inspiriert:
Beim ZDF ist noch für ein Jährchen die Reportage Köstliche Kantinenküche in der Mediathek.
Gutes Essen ist dort zwar auf „Mark und Pfennig“ ein Zuschussgeschäft – doch gleichzeitig ist die Förderung guten Essens in der Kantine eine Investition in Motivation und Gemeinschaftsgefühl – wer „regional und ökologisch“ anbietet, betreibt gleichzeitig Struktur- und Gesellschaftspolitik, schafft oder erhält Arbeitsplätze, betreibt Naturschutz.
Dass fermentierte Lebensmittel in unserem Alltag meist die Ausnahme sind, ist, gelnde gesagt, merkwürdig. Nach der „alten Schule“ hätte man dieses Manko damit begründet, dass es im falschen Leben kein richtiges geben kann.
Mehr Gemüse bei weniger Fleisch ist lecker machbar, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gesund. Die Reportage vermittelt eine Vorstellung, wohin die Reise gehen könnte, wie ich meine: Sollte.
Dabei kann die Gemeinschaftsverpflegung, da die modernen Zeiten vielfach zum Zerfall der Familie führen, eine wertvolle Funktion im sozialen Leben darstellen. Was also auch noch geregelt werden sollte, ist zum Beispiel die Situation der alleinerziehnden arbeitslosen Mütter – anspruchsvolle Quasi-Kantinen auch für die vielen „Sozialfälle“ der Gesellschaft – natürlich nur auf freiwilliger Basis 😉
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