Schulmensa und -Bauernhof und die Debatte zum solidarischen Arbeitsmarkt
Geschrieben am 30. März 2018 von KPBaumgardt
Wenn David zum Kampf gegen Goliath antreten muss, sollte er auch gewinnen, erwarten wir, weil wir einen alten Mythos verinnerlicht haben.
Die heutige Wirklichkeit ist das aber nicht, da kann (immer öfter?) der Kleine verlieren. Bei der Ausschreibung für die Schülerverpflegung in der Frankfurter „Integrierten Gesamtschule Nordend“ war das wohl so:
Vor allem kommt es auf jeden Cent und die Einhaltung der Formen an –
„„Es ist zum Beispiel vorgeschrieben, dass viermal pro Monat ein Vollkornprodukt im Essen ist. Natürlich mache ich das. Aber als ich den Speiseplan geschrieben habe, ist mir ein Aufschrieb flutsch gegangen.“ Punktabzug. Ihre Kosten pro Mitarbeiter seien höher als bei Sodexo mit 12 300 Mitarbeitern, ihr Angebot damit teurer. Punktabzug. Ihre E-Mail-Adresse steht nicht auf dem Antrag, so sei das Beschwerdemanagement nicht gewährleistet. Punktabzug. „Dabei braucht man mir keine E-Mail schreiben, ich bin doch jeden Tag da“, …“ (Quelle)
Der Großcaterer, der auch Gefängnisse und ein steuersparendes „Mitarbeiter-Motivationsprogramm“ betreibt, kocht wie der eher mittelständische lokale Anbieter nach DGE-Richtlinien – abwechslungsreich, gesund und schmackhaft – zukunftsfähig „bio“ und „regional“ wäre eigentlich zentraler als ein Zertifikat.
Grünkern grob schroten, in Brühe gut garen, salzen – fertig ist das preiswerte Vollkorngericht (hier nur ein Rest)Beim „Kleinen“ wird nach dem Wegfall des Auftrags wahrscheinlich Personal entlassen, ob das die Mensa-Arbeit geliebt hat, interessiert nicht; der Schulträger, der seine Mensa ausgegliedert hat, macht so indirekte Personalpolitik, die Kommune verliert gleichzeitig mit der Verlegung Gewerbesteuer.
Für das Bildungsdezernat zählt „das Preis-Leistungs-Verhältnis“, eine Schülerin merkt dagegen an:
„Es gibt eine persönliche Bindung zum Küchenteam und im Vergleich zu anderen Schulen ist unser Essen richtig gut.“ (Quelle)
Ich finde, es kommt auf das pädagogische Milieu an; das Mensateam gehört selbstverständlich dazu, wie Eltern und Lehrer, Hausmeister, Sekretariat und Handwerker. Es gibt eine Schulgarten-Ag, es gibt Biologie-Unterricht (das setze ich mal voraus), einen hauswirtschaftlichen Bereich könnte man eröffnen – damit sollten die Möglichkeiten, sich theoretische und praktische Kenntnisse in diesen Bereichen anzueignen, doch eröffnet werden können. Neben einem Schullandheim könnte gut ein Schulbauernhof existieren – Projektunterricht ist doch keine Utopie mehr.
Die Schüler sollen zum Beispiel begreifen, wie es zu unterschiedlichen Formen bei Nudeln kommt…Fit für die Zukunft
Welche Zukunft auf die heranwachsende Generation zukommt, ist kaum absehbar. Es wird immer noch zu tun geben, vielleicht mit weniger Arbeit.
Im hessischen Rüsselsheim sollen heute Arbeitnehmer („Opelaner“) vordergründig hohe „Abfindungen“ bekommen, wenn sie aus dem Betrieb aussteigen: Die Industrie braucht den Markennamen, nicht aber die Arbeiter.
Womit unter diesen Umständen die Opels bezahlt werden sollen, ist schleierhaft. Vielleicht kommt es zu einem Tauschgeschäft – Deutsche Wertarbeit auf französischer Plattform gegen chinesische Industrieroboter.
Ihren Lebensunterhalt muss auch die jetzige Folgegeneration zukunftsfest bestreiten können – das braucht Fähigkeiten und Ressourcen, keine „Transferleistungen“, sondern Arbeit, Arbeitsplätze.
Das Gleichnis vom Hungernden, dem man einen Fisch für einen Tag geben kann – damit ist er für einen Tag satt – oder den man das Angeln lehren kann, damit er ein Einkommen und Nahrung hat, ist hier ja schon genannt worden.
„Wir basteln einen Chicken-Burger“; noch fehlt das Brötchen, und im Ethik-Unterricht sprechen wir über das Recht des Menaschen, Tiere zu töten.Bei Konfuzius war das Meer ja noch „frei“. Heute ist es reguliert, sind Quoten vorgeschrieben, die zwar illegal umgangen werden, das könnte sich aber ändern. Trotzdem braucht es noch die Angel und die Lizenz zum Fischen; das Angeln-Können allein kann also ziemlich nutzlos sein, es gibt in jedem Fall Verteilungsprobleme – vielleicht muss die Bundesmarine ihre Fregatten und U-Boote doch noch fitmachen, weil sie die friedliche Aufgabe bekommt, illegale Trawler stillzulegen.
Eine bezaubernde Fehlleistung war neulich in diesem Zusammenhang zu hören:
„Wenn du einem Hungrichen einen Fisch gibst, wird er 1 Mal satt. Bringst du ihm das Angeln bei, dann wird er nie wieder satt.“
Das ist andererseits auch eine sinnvolle Aussage: Angeln zu können, schafft Erwartungen. Dann nicht zugelassen zu werden, schafft Frustration und Hunger. Aus dieser Perspektive wird das selbstgefällige Anglerlatein der Leit- und Führungsangler allerdings sehr unerträglich. („Sie müssen nur angeln wollen!“)
Das Gleichnis vom nimmersatten Angler stammt aus der Fernsehsendung „Hart, aber fair“:
Die CDU schickte den Bundestagsabgeordneten Alexander Krauß ins Studio. Er ist Bundesvorstand der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).
Dessen Versprecher fiel niemandem auf; weil das Originalzitat so wohlbekannt ist, hat man einfach das verstanden. In die Berichtserstattung zur Sendung mischt sich die Sorge um „Deutsches Geld für Deutsche, und nicht für alle Welt“ hinein:
Alexander Krauß findet, dass es zur Ehrlichkeit dazu gehört, dass es eben auch Menschen gäbe, die mit Hartz IV zurecht kämen und deshalb nicht arbeiten wollen. Nun war Krauß sicher noch nie auf dem Amt, weiß also nichts von Schikanen, von Sanktionen und einem Offenbarungseid …, dass Kindern dringend empfohlen wird, Ausbildungen zu machen, … obwohl diese weiter zur Schule gehen wollen. … Maßnahmen, die fast ausschließlich Einheimische treffen und hunderttausende Einwanderer im Moment (noch) kaum zu befürchten haben.
Nun sind solche Politdiskussionen, bei denen von allen Seiten ziemlich viel Dampf abgelassen und kruder Senf hinzugegeben wird, augenscheinlich nicht arg weiterführend.
Ich fände wichtig, zu notieren, dass die Situation der Erwerbslosigkeit – ähnlich wie Wohnungslosigkeit – manchmal nur als „Schicksal“, nicht als persönliche Schuld oder privates Versagen zu interpretieren ist.
Sicher geht es eigentlich auch darum, dem Schicksal etwas entgegenzusetzen – nur kann es mutlos machen, wenn soziale Bindungen gerissen sind.
Die Hartz-Erfahrenen in der Hart-aber-Fair-Runde waren Mütter, wenn ich es richtig verstanden habe, alleinerziehend, kamen mehr recht als schlecht mit der Situation zurecht – kaum zu glauben, wie die eine ihr Auto finanziert hatte, und ein Glückskind war sie zudem wohl auch, denn: Offensichtlich hatte fünf Jahre lang keine größere Reparatur angestanden, und viellleicht hatte sie noch einen Satz Reifen mit Profil in Petto gehabt…
Bei der Frage nach den Perspektiven war wenig Land in Sicht – hier immerhin ein „Tweet mit Hoffnung“:
Daniela KolbeVerified account @danielakolbe
„Es ist entscheidend, dass man von würdevoller Arbeit auch leben kann.“ sagt Michael Müller bei
#hartaberfair. Das solidarische#Grundeinkommen, das er vorschlägt, kann ein richtiger Schritt dazu sein.
Die Würde steht auch im Grundgesetz – und da steht sie gut.
Die Inhaberin einer Werbeagentur und Öko-Sozialunternehmerin Sina Trinkwalder hatte innerhalb der Runde als Einzige erwähnt, dass zunächst einmal, vor einem „Mittelbezug“, eventuell vorhandenes Vermögen „abgeschmolzen“ wird, auch das stellt einen Angriff auf die Würde dar, die Enteignung der Hilfsbedürftigen.
Damit sind wir wieder bei dem Gleichnis mit der Angel: Hilfe bedeutet nicht belehren sondern lehren, das verlangt ein hohes Maß an Verständnis, eine bestimmte Portion an Engagement.
Desinteresse und Gleichgültigkeit – da wird Konsens bestehen – sind das schädliche, vielleicht gar feindselige Gegenteil von Hilfe.
Eine solidarische Gesellschaft könnte langsam mal wieder die Überbetonung des Slogans vom „fördern und fordern“ ins Lot bringen, könnte dem Wort „Arbeitsvermittler“ Bedeutung einhauchen, statt vorschriftsmäßigem Dienst menschliches Engagement fordern.
Das Armutszeugnis, das dem „öffentlichen Dienst“ hier auszustellen ist: Armut an Phantasie, was die Lösung der gesellschaftlichen Probleme betrifft, Mangel an weiterführenden Ideen bei den Diäten-Beziehern, Fehlen von Verantwortlichkeit, würdeloses Wahrnehmen von egoistischen Interessen – steht vielleicht im „nichtmateriellen Teil“ der Armutsdebatte, unter „geistig-moralische Armut“.
Das ist natürlich ein „blödes“ Kapitel, das niemand lesen will.
Kefir-Creme passt besonders gut zum Kefir-Pancake. Wer im Herbst daran gedacht hat, kann sie im Frühling mit selbstgemachter Zwetschgenmarmelade bestreichen – aber welche Familie vermittelt das Wissen ums Marmeladekochen überhaupt noch?
Auswege aus der Krise
Das Kapitel mit dem Ausweg aus der chronischen Krise hätte genaugenommen mehrere Unterkapitel. Den Teil „Die richtige Lösung zu diesem Problem“ hat es schon mal gegeben, der ist aber bei der letzten allgemeinen Bücherverbrennung verloren gegangen, glaube ich. Vielleicht kann man es ja noch einmal rekonstruieren, oder in geheimen Archiven wiederfinden.
Das ist aber auch nicht so wichtig, denn diese Ur-Fassung(?) enthält aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Lösungen von gestern.
Die Idee, jetzt jede Menge „Hilfshausmeister“-Stellen zu besetzen, ist hoffentlich nur als Zwischenschritt und Beispiel gedacht. Es geht um würdevolle Arbeit. Da fehlen noch die Erfahrungen, die Lösungen, fehlt dann noch die Umsetzung. Wenn „Respekt“ im Team nicht stets und gegenseitig herrscht, ist bei „Würde“ Fehlanzeige.
Das klingt schlimmer als es ist – wenn wir es sportlich, in der Art einer Schatzsuche angehen.
Dabei ist das solidarische Grundeinkommen – scheinbar kompliziert – nicht mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gleichzusetzen und soll gar nicht das abgeschaffte Projekt „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ übertrumpfen, es geht um eine neue Qualität – wenn es auch um manche Arbeitsbeschaffungs-Projekte ein bisschen schade ist.
Wertvoll könnte ein „aktivierendes Heimatmuseum“ sein, das wird nie richtig auf die Füße kommen; Frauen sind schockiert wegen der rein männlichen Riege beim Innenministerium und reagieren mit einem „Das ist nicht meine Heimat!“ – als hätte je jemand behauptet, Heimat wäre immer kuschelig-rosengartenmäßig.
„BMI“ heißt hier einmal nicht „Body-Mass-Index“, auch nicht „Ministerium für Innerlichkeit“. Im Krankenhaus wäre „Inneres“ die „Innere Medizin“, im Staat ist dem Inneren jetzt die Heimat zugeschlagen worden – das war aber auch eine Wahnsinns-Watschn…
Die Stelle der rosenzüchtenden Fachfrau (oder geschlechtsneutrale Bezeichnung) für Büro- und Telekommunikation an Schullandheimen oder -Bauernhöfen zu fordern und fördern – das ist nicht die Idee der Frauenbewegung. Gäbe es eine, würde sie aus nachhaltiger Verantwortung auch solche Kombi-Arbeitsplätze am solidarischen Arbeitsmarkt durchsetzen.
Panierte Champignons – nichts für den hochsensiblen Magen
Neu ist die irgendwie wohlwollend-neutral-salomonische Haltung der LINKEN:
Die progressive Alternative zu einem Gesetz, das Niedriglöhne und Armut bringt, ist eine Politik, die gute Arbeit zu gerechten Löhnen fördert und die sozialen Lebensrisiken absichert, universell und inklusiv, aber eben nicht als bedingungsloses Grundeinkommen für alle in allen Lebenslagen. Der programmatische Fundus der LINKEN hält mit der sanktionsfreien Mindestsicherung und dem Konzept der öffentlich geförderten Beschäftigung belastbare Referenzpunkte für eine Debatte über das »Solidarische Grundeinkommen« bereit.
An der Grenze der Belastbarkeit ist hier die Sprache: In keinem Duden der Welt kann man nachschlagen, was „belastbare Referenzpunkte für eine Debatte“ sind. Sollte der Autor verlässliche, vorbildhafte(?) Konzepte und Pläne meinen – schön…
Die SPD diskutiert den „Sozialstaat der Zukunft“ derweil nach dem Motto „Vielfalt erleben“, im Grunde ein Kommen und gehen, ein hin und her, und die Tabus beim Grund-Bedarf zum Grund-Einkommen bleiben bestehen.
Es ist verboten, darüber zu sprechen, dass ein Erdgas-Oligarch hierzulande die Unterprivilegierten enteignet hat (siehe oben), und ein unausgesprochenes Sprechverbot verhüllte ein Alkoholverbot:
Dass Hartz IV mit seinen unterbelichteten Bedarfssätzen Deutsches Brauchtum mit Füßen tritt, zeigt sich überdeutlich, wenn vom Reiheitsgebot hier keine Rede mehr ist – Bier ist schlichtweg gestrichen, zwar hatte die Menschheit schon vor dem Brot-backen Bier gebraut, doch ausgerechnet die Deutschen schaffen es selektiv für eine diskriminierte Bevölkerungruppe wieder ab.
Mein Kommentar bei „Hart aber Fair“:
Die Haltung des Herrn Spahn ist nicht zukunftsfähig; immerhin hat er eine Diskussion angestoßen, die auf die unhaltbaren Zustände hinweist, mittelfristig auch zu Verbesserungen führen müsste. Die Teilhabe am sozialen Leben ist nicht gratis – dass bei „Hartz“ mal ein Kinobesuch eingerechnet sei, fällt doch in die Rubrik „Papier ist geduldig“.
Man ist vielfach ausgegrenzt. Die Chancen bei Langzeitarbeitslosigkeit werden mit der Zeit immer schlechter, wer nicht die volle Leistung bringt, ist nicht gefragt – und das ist sehr schlecht fürs Lebensgefühl. Der Staat hat als Arbeitgeber auch schon mit Subunternehmen kooperiert und mit Befristungen jongliert – zu Lasten des betroffenen Personals.
Simone Lange, die Flensburger Oberbürgermeisterin, die im April, wenn es um den Parteivorsitz geht, die Gegenkandidatin zu Andrea Nahles sein wird, widerspricht den „SPD-Spitzen-Genossen“, die Hartz behalten wollen: „Über einen Umbau des Sozialsystems müsse weiter diskutiert werden“.
Gern.
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