Das falsche Umfeld verkürzt das Leben – wie gut geht es „UNS“ eigentlich?

Eher die Ausnahme ist das Interview mit dem Vizepräsident der Ärztekammer Bremen, Johannes Grundmann. Er hat eine internistische Praxis in Bremen-Gröpelingen; das Radio-Bremen-Interview ist mitMänner in Bremen-Gröpelingen sterben 8 Jahre früher“ überschrieben.

Was den Stadtteil zum „Poblemviertel“ gemacht hat, kann man sich so vorstellen:

Die Werft AG „Weser“ war der bei weitem wichtigste Betrieb in Gröpelingen. Ab 1975 verlagerte sich der Schiffbau aufgrund von Defiziten in der Produktivität auch für deutsche Reeder in Länder wie Japan oder Südkorea, in denen staatliche Förderung ein systematisches Investieren in moderne Produktionsstrukturen ermöglichte. Eine Werftenkrise erfasste den deutschen Schiffbau. 1983 konnte der Krupp Konzern den Konkurs der AG „Weser“ auf der Grundlage der zurückhaltenden Finanzierungsquellen nicht mehr abwenden. Nach langen, schließlich gescheiterten Verhandlungen und einer Besetzung der Werft durch die Arbeiter, wurde die Werft Ende 1983 geschlossen. Deren Ende hatte weitreichende Folgen für den Stadtteil – Gröpelingen wurde zum Problemviertel.

Dementsprechend weist der Ort mit den vielen Baggerseen, die meist an der Autobahn liegen, für deren Bau sie ausgehoben wurden, eine hohe Arbeitslosigkeit und scheinbar politische Orientierungslosigkeit der Bevölkerung auf.

Ein Denkmal erinnert an vergangene Zeiten; die (wahrscheinlich auf B. Brecht zurückzuführende) Inschrift am Boden: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren“.

 

Die schlechte Lebensqualität in Gröpelingen, aus dem wohl nie ein „...besonders attraktives Wohnviertel für gut situierte Bremer“ wird, zeigt sich auch an architektonischen Verbrechen wie einer besonders hässlichen Platten-Megabebauung.

 

Konkret geht es jetzt nicht allgemein um die Lebensqualität, sondern um die Lebenserwartung. Hierzu sagt der örtliche Internist Johannes Grundmann (Link siehe am Anfang) :

„Armut und Gesundheit bedingen sich gegenseitig: Armut macht krank, Krankheit macht arm. Bei armen Menschen gibt es eine erhöhte Mutter-Kind-Sterblichkeit. Arme haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Das Risiko für Schlaganfälle ist ebenfalls erhöht. Auch Infekte und Ekzeme haben sie häufiger.“

Du kannst „asiatisch-all-you-can-eat mit viel Glutamat“ mittags für weniger als 10 EURO bekommen, wirst aber eine „soziale Kantine für Alle“ mit „Linsensuppe-wie-bei-Muttern“ für unter 2 EURO vergeblich suchen.
 

Nun werden im Interview eher die Ursachen der Krankheiten der Armen behandelt, als die Ursachen der Armut – was haben Journalisten und Mediziner auch einer „Werftkrise“ entgegenzusetzen? „Die Weltwirtschaft“ fordert heute dies, morgen jenes. Wir hatten auch schon Waggonbau-Krisen, wenn wir eine im Automobilbau bekommen…

Wir habe eine weitere Armutsverursachung, von der „Die da Oben“ so gar nichts wissen wollen: Eine Monitor-Recherche hat ergeben, dass die Bundesregierung die Hartz IV Sätze systematisch nach unten gerechnet hat. So „spart sich“ der Staat auf Kosten der Armen 25 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Petition dagegen zu unterschreiben, sollte machbar sein. In den Medien bleibt „die Sache“ unvergessen:

Auf der anderen Seite machen die Tricksereien krank; zum „Schwund der Gesundheit“ wurde im Interview genannt:

  • „Arme Menschen haben nicht das Geld, sich vernünftig zu ernähren.
    Sie … konsumieren mehr Fast Food, kaufen zu wenig Gemüse.“

Das ist eben doch die Sicht des Internisten und nicht die eines Sozialmediziners. Fast food ist definitiv teurer als „selbst gekocht“, „vernünftige Ernährung“ zum Mini-Preis muss andererseits auch erst noch erfunden werden.

Kohl gehört definitiv zu den preiswertesten Lebensmitteln. Eine Möglichkeit, ihn noch vitaminreicher und bekömmlicher zu bekommen, besteht in der Fermentierung. Hier: „Saurer Spitzkohl“ mit blassgrüner Mini-Spitzpaprika, Gurke und Zwiebel – angemacht mit viel Petersilie, wenig Essig und ein paar Teelöffeln gutem Öl.

 

Meinte der Mediziner noch, dass „die Armen“ häufiger rauchen als die gut Situierten, hat er das Thema „Manipulation durch Werbung“ ausgelassen, auch, dass das HB-Männchen anfangs sogar in den öffentlich-rechtlichen Kanälen ausgestrahlt wurde, und die Zigaretten noch vom Taschengeld zahlbar waren. Mehr oder weniger elegant ist er auch dem Thema „Alkohol“ ausgewichen.

Aus unbekannten Gründen fehlt im Interview das Übergewicht als Folge des verpönten Fast-Food; doch häufig, über diesen Zwischenschritt

„… kommen die Folgeerkrankungen: Diabetes, Bluthochdruck.“

Die verlaufen chronisch – um im Vorfeld, präventiv zu wirken, fehlt es an den starken präventiven Maßnahmen, die an den starken, ungenutzten Anknüpfungspunkten wirken; hier versagt das System.

„Auch die Arbeit ist ein Thema: Arme Menschen verrichten häufiger schwere körperliche Arbeit. Außerdem hat auch im Niedriglohnsektor oder bei 450-Euro-Jobs die Arbeitsverdichtung zugenommen.“

Dass hier der blanke Stress herrscht, will nicht in die kollektive Wahrnehmung passen. Im Gegensatz zur Darstellung beim Denkmal ist der Werftarbeiter erst als „Massenwesen“ „bei sich“, wird zum „Mann der Arbeit“ mit dem starken Arm der Arbeiterbewegung erst durch die Arbeit. Eigentlich – denn aktuell ist der Mann der Arbeit von „Seiner Bewegung“ abgekoppelt, schlägt sich alleine durch…

Bezogen auf den Brennwert ist so eine Gurke natürlich unverschämt teuer, dass sie „unverschämt gesund“ ist, besagt kein einziger Werbespot – wo doch schon schlechte Spots uns ein Leben lang begleiten müssen, um endgültig implantiert zu werden.
 
So „wohlhabend“, dass er immer Fleisch essen musste, war der Schiffsbauer gar nicht, wäre wahrscheinlich auch mal mit Linsenbratlingen zufrieden gewesen.

 

Im Interview kam das Argument, „… dass auch arme Menschen Sport machen können, um etwas für die Gesundheit zu tun.“ Die Antwort:

„Das sehe ich ganz genauso. Doch diese Botschaft aus dem präventiven Bereich kommt bei manchen Bevölkerungsgruppen einfach nicht an. Das liegt dann auch an den sozialen Strukturen. Man muss fragen: Macht dein Vater das, deine Mutter? In sozial schwachen Familien ist hier oft das Bewusstsein nicht da.“

Nein! Man muss fragen: „Was ist eigentlich aus dem Arbeitersportverein geworden?“ Man muss den finanziell schlecht Gestellten einen leistbaren Urlaub anbieten, samt Leihfahrrädern für Ausflüge und Freikarten fürs Freibad vor Ort.

Man muss für die Kids die regelmäßige Teilnahme an Landschulheimaufenthalten ermöglichen und den „Alten“ eine richtige Arbeit anbieten. Die kann auch gern sozialer Natur sein, es muss ja nicht gleich ins Moor gehen.

Tzatziki mit Kefir, Bratkartoffel und Pilze – hier als Imbiss oder Vorspeise arrangiert.

Schlechte Prognosen gibt es ja öfters. Eine soziale Gesellschaft hätte die Pflicht, dem entgegenzutreten, Mitglieder einer sozialen Gesellschaft würden nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip denken und handeln; sozial eingestellte Persönlichkeiten halte ich für die Minderheit.

Ein „schönes Beispiel“ für eine egomanische Adiposiatsberatung ist mir neulich berichtet worden: Die Klientin kam nicht voran – scheiterte an den „Zwischenmahlzeiten“, die sie weiter praktizierte – ganz normal, „Gewohnheit eben“, könnte man sagen.

Der behandelnde Arzt, der seine Zusatzleistung privat abrechnet: „Das ist Ihre Willensschwäche“ – und, damit keine Missverständnisse aufkamen: „… – Ihre mangelnde Willenskraft“.

Die Klientin war betroffen, fühlte sich ertappt und willensschwach, kramte noch ein paar Argumente hervor, warum ihr das Reduzieren so schwer fiel – aber war so ein „Urteil“ wirklich nötig? Hätte es nicht gereicht, etwa zu sagen: „Da haben Sie offensichtlich noch nicht Ihre neue Routine verinnerlicht – das kommt aber noch!“?

 

Gröpelingener Pizza

Mein bescheidener Beitrag, um die Wertschöpfung in Gröpelingen mit regionalen Produkten ein wenig zu erhöhen: Dinkelpizza mit Makrele. Handarbeit! Rezept auf Anfrage.

 

Ansonsten: Macht was! Gäbe es in diesem „Problemgebiet“ eine identifizierbare Gefahrenquelle, die für die acht Jahre weniger verantwortlich ist, würde man doch auch alles mögliche tun, um sie zu schließen!

Baut meinetwegen Lastensegler, kauft umweltfreundlich und fair Kaffee auf und verscherbelt den, bietet tolle Mitsegelgelegenheiten an, aber lasst nicht weiter alles schleifen!

 

 

Foto „Zur Schicht“ von https://de.wikipedia.org/wiki/Zur_Schicht#/media/File:Zur-Schicht_W.Otto_HB-01.jpg, VerographEigenes Werk

 

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