Broccoli und Kruzifix, Armut und Gleichgültigkeit
Geschrieben am 29. April 2018 von KPBaumgardt
Kaum zu glauben, aber wahr: Letzte Woche hat der bayrische Minister-Präsident Söder sich als Hausmeister betätigt, zu Hammer und Nagel gegriffen und ein Tausend -Euro-Kreuz“ aufi-hängt“:
Kleiner Aufwand – große Wirkung. Mit einer Anordnung, in bayrischen Behörden Kruzifixe als Zeichen urigst-bajuwarischer Identität aufzuhängen, provozierte Söder den Rest der Welt, zu ihm persönlich in Opposition zu gehen – viel Feind, viel Ehr‘, und alle, die den Kruzifix-Befehl kommentiert haben, sind Söders Inszenierung auf den Leim gegangen – statt sich um die eigentlichen Probleme vor unseren Haustüren zu kümmern.
Dabei gibt es auch die Lesart, dass der verehrte Jesus, den das Kreuz symbolisiert, ein Anarchist war (für Gläubige: Ist), denn
Jesus dreht alle Vorzeichen um. Die Letzten werden die Ersten sein, den Armen und Einfältigen gehört das Himmelreich. Jeder kennt diese Sätze. Das macht sie nicht weniger verrückt. Sie widersprechen jeder Logik der Macht und Gewalt, sie unterwandern diese Logik und zersetzen sie.
Oder er war zutiefst antidemokratisch eingestellt – ein bisschen Nächstenliebe bei der „Predigt am Berg“, mal eine Massenspeisung, dann wieder Wasser durch Wein ersetzen: Durchgängiges Muster ist ein autokratisches Verhalten, das nicht mit dem Volk abgestimmt ist 😉
Aktueller ist eine Stellungnahme des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-
seines Glaubens, seiner Hautfarbe, seiner geschlechtlichen Orientierung oder wegen seiner Volkszugehörigkeit abgewertet und auszugrenzt werden:
„Nach unserer Überzeugung ist
jeder Mensch als einzigartiges Geschöpf Gottes
mit unveräußerlicher Menschenwürde
ausgestattet und Träger der universalen und
unteilbaren Menschenrechte. Für die Wahrung
dieser Rechte tragen wir Verantwortung. Unser
Land muss … weiter
Verantwortung übernehmen für die
Schwächsten und Verwundbarsten.“
(Quelle)
Für Personen, die einfach nur ungewollt arm sind, peu á peu ausgegrenzt und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden, hatten die kirchlichen Oberhäupter keinen weiteren Trost – dass in Limburg ein Bischof eine goldene Badewanne brauchte, während Hartz-IV-Empfänger gar beim Duschwasser sparen müssen, glaubt ja niemand.
Zum Meditieren hatte Franz-Peter Tebartz-van Elst sein eigenes, bescheidenes Meditationsgärtchen anlegen lassen – trotzdem kostete seine Verschwendungssucht ihn sein Amt – macht ja nix, er hat ein neues.
Nicht nur die Kirchen-Oberen waren blind, was die Armut und die Verwundbarkeit durch Armut hierzulande betrifft, aus der Politik kam gar die Meinung, „Sozialhilfeempfängern“ gehe es doch prima. Jedenfalls, so hatte Jens Spahn gemeint:
Mit Hartz IV hat jeder das, was er zum Leben braucht.
„Dann soll er das doch einmal selbst probieren, für vier Wochen“ –
so hatte eine daraufhin verfasste Petition gefordert – und 200.000(+) hatten sich ihr angeschlossen, wobei eine große Anzahl potentieller Unterzeichner das Ganze für nicht praktikabel gehalten haben, aber eigentlich die Petition auch unterstützen würden
Die Unterschriftensammlung lief auf „Change.org“ ab; dort hatte ich meine Meinung geäußert:
Wenn Spahn schon nicht den Testmonat machen wird, soll er wenigstens Solidarität entwickeln – dadurch bricht ihm kein Zacken aus der Krone. Dass dieses „Hilfe-System“ für die Betroffenen (meist) in eine Abwärtsspirale führt, also in eine Falle, muss ein Gesundheitsminister verstehen können – und darf es nicht hinnehmen. Das ist auch politisch seine Chance.
Vor dem Vier-Augen-Gespräch Sandra Schlensog – Jens Spahn gab es eine Demonstration in Karlsruhe, der Minister brachte Kuchen mit
und gab im Anschluss keine Pressekonferenz.
Hinterher twittert das Bundesgesundheitsministerium in Spahns Namen:„Mit Hartz IV zu leben ist ohne Zweifel schwierig, denn es deckt als soziale Grundsicherung nur das Nötigste ab. Es war hilfreich, mit Frau Schlensog die konkreten Probleme ihres Alltags zu besprechen.“
Gibt es zwischen „Gesundheit“ und „Gemüse“ einen Bezug?.@jensspahn: „Ich möchte meine ganze Kraft als Bundesminister für Gesundheit darauf verwenden, das Leben möglichst vieler Menschen konkret besser zu machen. Dafür ist mir das heutige Gespräch mit Frau Schlensog Ansporn.“
Klar, die Frage ist deshalb: Woher kommt das Gemüs‘, wovon wird es bezahlt und wie wird es wo & von wem zubereitet. Hier mal ein Gratis-Rezeptvorschlag; wenn der unisono ignoriert wird, ist das nicht nur schade, sondern schädlich. Macht nix? Und was macht die Politik mit der Idee, allen Bürgerinnen und Bürgern einen umgewidmeten Teil der Agrarsubventionen als „Gutschein für hiesiges Gemüse und Obst“ zukommen zu lassen, dadurch den Absatz gesunder, nachhaltiger Nahrung zu fördern und einfach Schwung in die Sache zu bringen?
Man möchte den Bundesminister für Gesundheit beim Wort nehmen. „Gesundheit“ ist ja auch ein weites Feld, mit vielen, vielen Krankheiten, die behandelt werden müssen, deren komplexe Ursachen bekämpft werden müssen.
Wenn Menschen deshalb krank werden, weil sie vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind – was macht man da?
Nehmen wir doch nur mal an, auf der Demo in Karlsruhe waren vor allem deshalb eher wenige Teilnehmer, weil die Betroffenen sich die Fahrt dorthin einfach nicht leisten konnten…
Wir haben, als „reiche Gesellschaft“, auch spezielle Zivilisationskrankheiten. Die hatten zum Beispiel die „alten Römer“ bei ihrem dekadenten Treiben auch, haben das aber vermutlich normal gefunden.
Dabei gilt: Armut schützt nicht vor Krankheit. Reiche leben länger. Chronische Krankheiten sind breit gestreut – was tun?
Vor allem: Nicht nachlassen, nicht aufgeben. Regelmäßig die Medizin einnehmen. Bei Bedarf gewisse Übungen… Ich empfehle hier den Vortrag zu „chronic desease„.
Anschließend kann sich jeder, unter der Prämisse, dass Prävention und Betreuung zusammengehören, ausrechnen, was fehlt: Nämlich Betreuer. Mithin könnte die soziale Ernährungsberatung eine Lücke schließen.
„Gesundheit“ ist ein Feld auf dem auch die Agrarministerin ackert: Julia Klöckner will die Gesundheit fördern, denn „Landwirtschaft und Ernährung“ ist ihr Ressort, also soll es die gesunde Ernährung sein, zu der schon der Kindergarten die Weichen stellt.
Blumenkohl, gefuellt, Semmelknoedel mit Feldsalat und Brennessel – da duerfen die Kinder aber nur mitsammeln, so lange die B. noch ganz klein sind. Kaesesauce mit Kefir – aber eigentlich ist Kefir nur für Greise, die älter als 100 werden wollen 😉„Kinder müssen wissen, was ein Blumenkohl ist“: Ministerin Klöckner will Bildung über gesundes Essen in Kitas verankern. Doch sie sorgt sich auch um Senioren – es gebe Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Demenz und Ernährung.
Und wie bringt man Kindern bei, was gesunde Ernährung ist? Doch wohl, indem sie mit dabei sind, wenn gesund gekocht wird.
Das ist etwas aufwändiger, als wenn der Caterer liefert, dafür liebevoller und frischer. Genau genommen brauchen wir also auch keinen „dritten Arbeitsmarkt“, sondern Stellen für notwendige Arbeit, vielleicht noch ein „qualifizierendes Arbeitslosengeld“, das bisher nicht funktioniert, wenn gefühlt niemand ene Aussicht auf Erfolg in Form einer anschließenden Festanstellung mit menschenwürdiger Arbeit hat.
Reformideen hat auch der Paritätische Wohlfahrtsverband vorgelegt, ich hätte noch einen Renovierungsvorschlag:
Das Bänkchen in Idstein verrottet seit Jahren – und wahrscheinlich verschwindet es sang- und klanglos. Die Anwohner sagen auf der Stadt erst gar nicht Bescheid, denn der Mülleimer daneben wird ja regelmäßig geleert, „also müsste die Stadt doch Bescheid wissen“. Die Gleichgültigkeit, die solche Bilder vermitteln, während in der Fachwerk-Kernstadt alles fein herausgeputzt wird, ist frappierend.
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