Die Moral beim Essen – Vergnügungen – Ein Parteitag, der kein Gesundheitstag war

Weil hier kürzlich das Zitat „Erst kommt die Moral, dann das Fressen“ des Spitzenkochs und Autors Franz Keller aufgetaucht ist, könnten wir das noch einmal überdenken. Der Zusammenhang von Essen und Moral ist zwar unbestreitbar – nur gehört auch zum Tier-ethisch korrekten Essen zwingend die Rechnung,  und zur Rechnung die zahlende Kundschaft.

So ein elementares Grundbedürfnis wie „Essen“  zu befriedigen, ist in unserer hoch entwickelten Tauschgesellschaft, Marktwirtschaft nicht ganz einfach, erfordert Zutaten, die auch erst mal produziert werden mussten, und die fachgerechte, einfache Zubereitung.
 

Zur Moral beim Essen gehört, dass, was serviert wird, auch naürlich und gesund ist – niemand will gefälschtes Essen. Manche wähnen gar, es gebe gefälschte Eierlieferungen aus China – täuschend echte Gips-Eier, aber das sind übertriebene Befürchtungen, spätestens beim Aufschlagen wäre der Betrug entlarvt. Aber Farbstoffe und künstliche und nachgemachte Aromen in Umlauf zu bringen, könnte meinetwegen gern unter Strafe gestellt werden.

Mit dem Motto „Vom Einfachen das Beste“ kann man auch so umgehen, dass das Einfache noch vereinfacht wird. „Das Beste“ ist ein hoher Anspruch – im Einzelfall auch eigentlich nichts als Werbung.

 

Vielleicht „geht“ Moral auch nicht mit leerem Magen, Berthold Brecht hatte ja noch getextet: „Erst muss es möglich sein, auch armen Leuten, vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden“, hatte den Vorrang beim „Fressen“ gesehen.

Zum Genießen hat er sich, da die meisten so sehr dem Genuß nachjagen , dass sie an ihm vorbeilaufen, nicht allzu ausführlich geäußert, aber ein paar Stichworte zu „Vergnügungen“ für uns notiert:

Bertolt Brecht, „Vergnügungen“ [1954]

Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen

Das wiedergefundene alte Buch

Begeisterte Gesichter

Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten

Die Zeitung

Der Hund

Die Dialektik

Duschen, Schwimmen

Alte Musik

Bequeme Schuhe

Begreifen

Neue Musik

Schreiben, Pflanzen

Reisen

Singen

Freundlich sein.

 

Brecht stellte übrigens die Frage, ob Hannibal, der Rom eroberte, nicht einmal einen Koch dabei gehabt hätte – um auszudrücken, dass es auf die Führer allein gar nicht ankommt. (Und noch der schönste Semmelknödel ist ohne Begleitung eher reizlos).

 

Das Wort „Minimalismus“ wird es seinerzeit noch nicht gegeben haben, aber einen unverkrampfteren Umgang mit dem Nötigsten,  bei Lebensmitteln war damals Schwarzbrot noch echtes Schwarzbrot, heute sieht manches nach „Vollkorn“ aus, das mit Farbstoff auf „gesunde Optik“ getrimmt wird, und die heute diskutierte Sorge, dass Süssstoff dick macht, hätte damals Zweifel an der geistigen Gesundheit des Fragenden geweckt, denn die Behauptung, „Süßstoff“ sei ja in total vielen Lebensmittel enthalten, hätte nach einer schizophrenen „Vision“, Vorstellung einer kranken Phantasie,  geklungen.

Wir finden „Pflanzen“ und „Schreiben“ in einer Zeile – ob es da einen Bedeutungszusammenhang gibt? Alte Musik ist leicht verfügbar – wem macht die kein Vergnügen?

Wir wissen leider nicht, was die geistige Eliten von damals zu unseren heutigen Übergewichtsepidemien und Essstörungen sagen würden –  dass sie die heutige, manische Überbetonung des Essens ablehnen würden, ist gewiss. So meinte Tucholsky, tadelnd:

„Die Maschine“ hat dieses Zitat als Treffer bei der Suche nach [Schriftsteller, „Zitat“ und „Essen“] ausgegeben, und nun steht es hier: Als Appell an den Verstand, die Gedanken hier wie dort sich nicht immer nur mit dem Einen befassen zu lassen.

Dass die Werbeindustrie uns plump oder subtil immer wieder an die „Notwendigkeit“ von Essgenuss, Erfrischung und Bierrausch erinnert, gehört zum Kapitel „Politik und regieren“ – das ist ein vielschichtiges Spiel mit Millionen Puzzlestücken, die sich zu „Einheiten“ oder „Mehrheiten“ organisieren könnten. Es gibt ein schwaches Verbot von Werbung, die sich an Kinder richtet, und immense Werbe-Etats.

 Kefir als Lifestyle-Getränk? Unterschiedliche Organismen braucht es, bis eine uralte Form von Einheit entsteht. Gepflegter Kefir gibt neuen Schwung und beugt der Fehlernährung vor… 

 

Die Politik soll bei der grassierenden Fehlernährung weiter Teile der Gesellschaft intervenieren:

Ein aus 15 Verbänden, Organisationen und Krankenkassen bestehendes Bündnis kündigte heute in Berlin einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, in dem mehr Einsatz bei der Prävention von Fehlernährung gefordert werden soll. Einem ent­sprechenden Aufruf hätten sich zahlreiche Ärzte aus ganz Deutschland angeschlossen.

Sicher, „Essen“ ist nicht nur wegen der Milliarden, die dafür in der (Land-) Wirtschaft und im Gesundheitssektor umgesetzt werden, ein eminent politisches Thema.

Diese Appelle und Bittschriften an Regierungsmitglieder, sich zu kümmern, wirken trotzdem  immer wieder absurd. Eine souveräne Kanzlerin mit Führungsqualität  könnte bei solchen Chefsachen einfach fragen, was zu tun ist, und es veranlassen. „Was können wir tun, was tut Ihr, welche Allianzen müssen wir schmieden?“

„Viel Gemüse sei Deine Medizin“ – das wussten schon die alten Griechen 😉

 

Fehlt es an genügend Bio-Nahrung – dann auch ordentlich zertifiziertem Fisch, brauchen wir eine konzertierte Aktion, mehr Basis-Bildung, Kochen im Unterricht, Naturpädagogik mit Spaß, Schulbauernhöfe, Stadtgärten, Zuckersteuer, Vollkornquote, Gemüsegutscheine, lebende, fermentierte Nahrung? Auf diese Fragen kommt weder Merkel noch das „fordernde Bündnis“.

Eine Amtsperson zu sachlich notwendigen Maßnahmen bewegen zu wollen, ist schon viel zu nah am Vorwurf der Untätigkeit, wird von narzisstisch bedürftigen Persönlichkeiten wie uns, wie denen und jenen als abzuwehrender Vorwurf behandelt, nach Möglichkeit also abgeschmettert.

 

 

Die Willensbildung in Parteien – Wie die SPD sich in Wiesbaden eine Vorsitzende erwählt hatte

Der Polit-Berater Wolfgang Nowak meinte kürzlich in einem Interview, das die Überschrift „Warum müssen Parteivorsitzende so schreien?“ hatte:

Ich habe mal die Konferenz „Modernes Regieren im 21. Jahrhundert“ mit 15 Staats- und Regierungschefs organisiert. Dem vorgeschaltet war eine intensive Diskussion zwischen verschiedenen Gruppen aus der Bevölkerung, Interessengruppen, NGOs, der SPD-Universitäten, wie es denn weitergehen soll. Diese Diskussion fehlt. Man löscht heute die ganzen Feuer aus.

Das hieße, dass die Hoffnungsträger-Volkspartei auf die Expertise von innen und außen verzichtet, abgeschottet statt vernetzungsfähig ist.

… das ist wirklich tragisch, wenn man das sieht, weil es keine Botschaft gibt, sondern nur einen Schrei.

So ähnlich hatte ich das neulich auch gesehen, in einem anderen Zusammenhang geschrieben:

Wir brauchen statt des #Aufschreis den #Aufruf: denn „Wer soll die neue Welt bauen, wenn nicht Du und ich?“

Distanzlose Herumschreierei ist doch unerträglich, nutzlos, das Vorgaukeln von „kämpferischem Arbeiterbewusstsein“ – will hier eine Ex-Volkspartei sich hinter dieser Fassade gesundschrumpfen und die in langem Marsch zu Funktionären gewordenen Mitglieder halten?

„… was die Delegierten dann wahrscheinlich als unglaubliche Energie wahrnehmen, einfach kaum noch [zu] ertragen, weil das so aufgesetzt wirkt. Und so war das Ganze, auch die ganze Rede war eigentlich voll mit alten Gewissheiten, alten Sätzen …“

Nowag fehlte die nötige Beweglichkeit, Simone Lange, die Herausforderin zu Andrea Nahles, wahrzunehmen, war damit auf einem Niveau mit Jens Berger, der freilich aus einem anderen Lager stammen könnte: Der sprach von einer

… Gegenkandidatin, die zwar inhaltlich erfreulich unorthodox auftrat, aber als Bürgermeisterin einer norddeutschen Mittelstadt nicht eben als politisches Schwergewicht bezeichnet werden kann…

Das ist mal wieder die urdeutsche Brauchtumspflege,  Abteilung „Deutsche Wertigkeiten“. Der Wert der Person wird am Amt festgemacht und nicht auf ihre Gedanken kommt es an – wehe auch, wenn die Gedanken wiederum Gedanken erfordern, um verstanden zu werden, wenn aus Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ der nächste Schritt, ein „Lasst uns mehr Demokratie leben!“ wird.

Mir erscheint der folgende Satz als Indiz, dass die Demokratie nicht funktioniert, denn mehrheitlich gewollt kann Beschäftigung „unter Tarif“ ja nicht sein:

Nahles sagte selbstkritisch: Diese Leute spürten die Solidarität der SPD nicht mehr.

„Diese Leute“ und noch viele mehr brauchen nicht die Solidarität der SPD, sondern die SPD braucht deren Solidarität. Wir brauchen keine historisch gewachsenen Partei-Machtstrukturen der Arbeitsbesitzer und Diäten-Versorgten, sondern mehr lebendige Demokratie.
„Wir sind Dein starker Arm, du Kreuzchen machen, wir versprechen, deine Partei Politik machen“ ist Pipi-Langstrumpf-Wahl-Werbung.

Analog zum Slogan „Zeit für Familie“ oder „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, dessen Hintergrund mehr wirtschaftliche Leistung ist, brauchen wir heute mehr Zeit für Demokratie – Zeit für Fortbildung, für soziale Bildung und soziales Engagement, Gesundheitsschulung, mehr Miteinander, Basis-Projekte vor Ort.
Gleichzeitig, statt „das Prekariat“ ins Aus zu stellen, es besser zu stellen, dafür zu sorgen, dass die Scham vorbei ist, könnte auch die krankheitsverursachende Gleichgültigkeit vermindern.

 

Zitate-Sammlung „Genuss“

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