Adipositas-Selbsthilfegruppe als Modellprojekt
Geschrieben am 31. März 2009 von KPBaumgardt
Lokale, und nicht-virtuelle Selbsthilfegruppen sind zur Bewältigung von Adipositas unverzichtbar. Jedoch müssten die Konzepte hierfür erst noch entwickelt werden.
Auch kann man nicht einfach eine Selbsthilfegruppe aus dem Hut zaubern, sondern braucht vorbereitend eine Initiativgruppe.
Bisher ist eine wirkliche Förderung von Selbsthilfegruppen
mit
- klarem Programm bzw. Konzept,
- Gewichtskontrolle,
- Motivation,
- Belohnungen und Sanktionen,
- Regeln,
- dem Erlernen von Ernährungskompetenz
- gemeinsamer, bewegungsorientierter Freizeitgestaltung
eher eine theoretische Forderung, die auf der Prioritätenliste der Adipositas-Gesellschaften eher im unteren Bereich angesiedelt ist.
Die Gründe hierfür sind vielfältig, die Probleme, Selbsthilfegruppen flächendeckend zu etablieren, auch.
Es fehlen die Erfahrungen – nicht für Selbsthilfegruppen allgemein, aber in diesem Bereich; dafür ist das Problem vielleicht auch noch zu jung, und das Problembewusstsein nicht ausgeprägt genug.
Zu den Anfangsschwierigkeiten gehört die Gruppengröße: Wenn eine Gruppe zu klein ist, ist sie handlungsunfähig, wenn nur wenige Mitglieder „ausfallen“.
Von daher müsste die Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe sehr attraktiv sein, damit man gleich zu Anfang mit einer genügend großen Gruppe starten kann und auch im Bedarfsfall über die nötigen Nachrücker verfügt.
Dieser Zustand ist wohl nur mit den entsprechenden (professionellen) Werbemassnahmen und einem attraktiven Angebot zu erreichen; immerhin wirkt als „Prämie“ beim Mitmachen der von den Teilnehmer wohl doch ersehnte Gewichtsverlust; dass vielleicht nur jeder 20. Übergewichtige sich in seiner Haut nicht wohlfühlt und ein Krankheitsbewusstsein hat, steht auf einem anderen Blatt…
Zu den Voraussetzungen, die für manche Teilnehmer gegeben sein müssen, könnten auch Dinge wie Kinderbetreuung gehören, die nicht jede „Abnehmkandidatin“ souverän lösen kann, und eventuell auch Fahrdienste, jedenfalls auf dem „flachen Land“.
Hinsichtlich der „kritischen Masse“, der Gruppengröße, bei der eien Gruppe „Zunder“ entwickeln kann, würde ich grob schätzen, dass bei 12 Erstinteressenten vielleicht sechs ein ernsthafteres Interesse haben; bei einer Gruppe von sechs Personen kann die Hälfte in den ersten ein, zwei Monaten „abspringen“, so dass sich das Problem des „Nachschubs“ stellt, und inhaltlich das Verständnis von „Kontinuität“ entsprechend entwickelt werden muss.
Nach dieser „Rechnung“ braucht man gar nicht erst anzufangen, wenn es weniger als 24 Erstinteressenten gibt…
Man wird jedenfalls eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit brauchen, so dass die Nachrücker die Lücken schließen, die bei der unvermeidlichen Fluktuation entstehen, und besser mit einer Warteliste als mit einem Überangebot an Plätzen zurechtkommen.
Der größte Trumpf wären natürlich neben attraktiven Angeboten (die dann wieder Organisation erfordern) auch reale Erfolge, die sich ja im Fall des Falles leicht dokumentieren lassen und herumsprechen.
Man sollte auch überlegen, die Selbsthilfegruppe erst im Anschluss an einen „regulären Kurs“, der Grundlagen vermittelt, anzubieten:
Vor dem Problem des Jo-Jo-Effekts sind auch erfolgreiche Teilnehmer an guten Abnehmprogrammen nicht gefeit; und je nach Problemlage sind viele Übergewichtige auf eine wirklich langfristige „Betreuung“ angewiesen.
Die langfristige Einbindung könnte dann Aufgabe der Selbsthilfegruppe sein, der anfängliche pädagogische, oder je nach individueller Situatio9n auch therapeutische Impuls muss nicht die Aufgabe der Selbsthilfegruppe sein.
Exklusivität und Gruppenstruktur
Eine gewisse „Exklusivität“ der Selbsthilfegruppe sorgt dafür, dass die Mitgliedschaft auch als attraktiv und wertvoll empfunden wird. (Mitgliedsbeitrag, Prüfung, Ausschlussregeln, …). Denn je mehr eine Person investieren muss, um Mitglied der Gruppe sein zu dürfen (!), umso eher ist sie an dem erfolgreichen Bestand der Gruppe interessiert.
Andererseits ist es sinnvoll, die Eintrittsschwellen niedrig zu halten, damit möglichst viele und jeder Interessierte (z.B. unabhängig von den finanziellen Mitteln) teilnehmen können.
Eine Auflösung dieser Dilemma-Situation (Im Interesse des Engagements sollten die Schwellen hoch sein, im Interesse der Breitenwirkung niedrig) könnte darin bestehen, verschiedene Stufen oder „Grade“ der Mitgliedschaft einzuführen, die von der erfolgreichen Mitarbeit abhängig sind.
Immerhin wird es um ehrenamtliches Engagemnet gehen, und das Weiter-Vermitteln von positiven Erfahrungen ist für „hochrangige“ Mitglieder wiederum eine spezifische Motivation.
Weiterhin sind positive Beispiele als Motivation für die Mitgliedschaft gefragt, um das individuelle Engagement zu fördern. Es heißt ja immer so schön: „Fördern und fordern“. In unserem Zusammenhang heißt das:
Einerseits braucht es eine Initiativgruppe, die die Sache voranbringt, andererseits muss sie mit Augenmaß aber für Anreize sorgen und Anforderungen an die Mitglieder stellen.
Zudem muss die Gruppenstruktur eine gewisse Dynamik beinhalten, denn die Anreize müssen über die Zeit variieren, damit sie wirksam sind, denn der Anreiz, der heute wirksam ist, kann morgen schon zur Gewohnheit geworden sein, und damit nicht mehr wirken.
Mit einem Modellprojekt könnte erforscht werden, was zum Gelingen einer Adipositas-Selbsthilfegruppe notwendig ist.
Wenn die Sozialwissenschaft diese Fragestellung bisher noch nicht konkret beantworten kann, ist es an der Zeit, sich damit zu beschäftigen; dringend genug ist das Problem schließlich.
Weitere Artikel zu „Selbsthilfegruppen bei Übergewicht“ – Gründung
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„Lokale, und nicht-virtuelle Selbsthilfegruppen sind zur Bewältigung von Adipositas unverzichtbar. “
Kannst Du da näher drauf eingehen?
„Es fehlen die Erfahrungen – nicht für Selbsthilfegruppen allgemein, aber in diesem Bereich; dafür ist das Problem vielleicht auch noch zu jung, und das Problembewusstsein nicht ausgeprägt genug.“
Gibt es im Ausland (z.B. in Amerika) bereits erprobte Modelle?
„Mit einem Modellprojekt könnte erforscht werden, was zum Gelingen einer Adipositas-Selbsthilfegruppe notwendig ist.
Wenn die Sozialwissenschaft diese Fragestellung bisher noch nicht konkret beantworten kann, ist es an der Zeit, sich damit zu beschäftigen; dringend genug ist das Problem schließlich.“
Wie gehst Du jetzt konkret vor? (Oder wirfst Du nur die Theorie im Raum und hoffst, dass jemend dein Blog findet?)
@ Andrea: Du meinst ja selbst, dass man allein vielleicht schnell ist, zusammen aber weiter kommt.
Weiter oben ist der Link zu „Selbsthilfegruppen – Gründung“, dort sind weitere Artikel.
Dieser Artikel, der die Perspektive „Modellprojekt“ aufgreift, ist bei dem ganzen ein weiterer Schritt. Sozusagen ein mögliches Ziel für die Initiativgruppe. Damit ist natürlich die Frage, welche Leute man wie anspricht, noch nicht gelöst, aber das wird sich finden: Es ist doch bloß die schlichte Frage: „Machen Sie mit, sind Sie dabei?“ (Bzw. „Du“)
Nun könnte z.B. ein Ernährungsberater sagen: „Das ist nicht mein Interesse, dass die Leute sich selbst helfen“ und er sagt ab. Trotzdem, und das gilt es, aufzuzeigen, ist ein funktionierendes Selbsthilfewesen auch in seinem Interesse, denn mit Selbsthilfegruppen wird er eher gefragt (Z.B. für Fachvorträge) als ohne.
Warum sind lokale (nicht virtuelle) Selbsthilfegruppen von Adipositas unverzichtbar?
Kannst Du das in ein-zwei Sätze beantworten, hast Du den ersten Aufhänger für ein Dialogue mit der Ernährungsberater.
Weisst Du, ob es bereits erprobte Modelle gibt (wo Du dann auf deren Erfahrung anknüpfen kannst, z.B. in der Frage, wie man eine gesellschaftliche Umdenkprozess einleiten kann oder wie man die Fachkräfte, Politik, Betroffene ansprechen kann)? Oder wo Du sonst deinem Ziel voranbringen kannst?
Und ja: was bezweckst Du mit diesen Artikel? Sollen Ernährungsberater über dein Blog stolpern und angesprochen fühlen? Bist Du in den entsprechenden Foren tätig, sodass „Fressnet“ sich als Quelle des Wissens oder der Ideen sich etabliert?
Du hast hier allerhand an Informationen, gute Infos. Und ich bin auch eine große Verfechterin der Gruppendynamik (ob virtuell oder lokal). Wäre ja schade, wenn dein Fokus mit deine Projezierung nicht zusammen arbeitet und alles hier nur „abgelegt“ wird… und auf den Zufallstreffer der SEOs wartet…
Liebe Andrea, das sind viele Fragen. Ich denke ja auch, dass sie wichtig sind, zum Teil hab‘ ich darüber hier schon geschrieben.
Auch das mit den anderen Erfahrungen, an die man anknüpfen können müsste, ist so ein Punkt: Nein, da gibt es nichts, und alle, die sagen, da gibt es existierende Gruppen, müssen bisher feststellen, dass sie sich eigentlich getäuscht haben. Deshalb hatte ich doch den Vergleich mit den Potemkinschen Dörfern gezogen.
http://fressnet.de/blog/?p=1608
Ansonsten muss man das Schritt für Schritt angehene und eines nach dem Anderen machen, und auch die richtigen Ansprechpartner finden.
Dieser Artikel war ja als Ausblick gedacht für das, worum es bei der Initiativgruppe geht…
Also ist das hier sowas wie ein Schmierzettel… eine Sammelung von Gedanken, die Reifen?
Cool.
Und danke, jetzt weiss ich, was Potemkinschen Dörfer bedeutet… immer ein Wissenerweiterung bei Dir!
Ich wünsche Dir eine ausgelesene Gruppe Mitstreiter, dass es vielleicht nicht so militärisch voran geht, wie bei Potjomkin, aber dass Du dein „Krimhalbinsel “ weiter entwickelst….
Danke für Deine guten Wünsche, Andrea!
Schmierzettel sind allerdings etwas anderes 😉
„Gedanken, die reifen“ trifft es aber (hoffentlich) ganz gut. Ich bin halt nicht mit einem fertigen Konzept angetreten, sondern habe „irgendwie“ angefangen, und nie behauptet, ich hätte den Stein der Weisen, wie so viele, die ihre Wunderdiäten und Wundermittel mit größter Überzeugungskraft verkaufen.
Und das mit den Mitstreitern, das kommt auch noch; Wobei: Ich selbst bin ja überhaupt nicht streitbar 😉