Wegen Kultur-Schwund und Bindungsverlusten verliert die Humanität und wir haben die „familiäre Qual der Diäten“
Geschrieben am 3. März 2024 von KPBaumgardt
In einem 15 Jahre alten Interview, das ich zufällig und „auf einem Ohr“ nachgehört hatte, war die Rede von der „kulturellen Erosionskrise“, von nicht mehr zu verrmittelnden alten Werten und von fehlenden neuen (Werten).
Na, toll: Wenn wir unsere Werte nicht mehr spüren, haben wir vielleicht wenigstens noch Zugang zu Bedürfnissen und Gefühlen, je nach Charakter und Situation z. B. Hungergefühlen, die allerdings verfälscht und manipuliert werden, (auch) von einer Lebensmittelindustrie, für die gute Werbestrategien lohnende Investitionen sind.
Heute ist die Pizza selbst gemacht; ist die Portion auch noch so klein, möge sie von Salat begleitet sein.
Im oben verlinkten Interview hatte der diesjährig verstorbene Oskar Negt das Fehlen jeder „… Leidenschaft der Veränderung [beklagt]. Ohne diese [Leidenschaft der/für Veränderung] wird auch die Analyse einseitig und verliert den Bezug zum Sinngehalt des Ganzen.“
Im Hintergrund dürfen wir hier an den allgemeinen Bindungs-, Orientierungs- und Erfahrungsverlust denken -und auch daran, dass Demokratie nicht angeboren ist, sondern mittels politischer Bildung erst ermöglicht wird:
Es erfordert einen nicht geringen Aufwand, einen „Bürgerrat für Ernährung“ (1., 2.] auch nur vorübergehend zu etablieren, und selbst eine gleichberechtigt-demokratische, ehrenamtliche Selbsthilfegruppe zu betreiben, haben wir nicht gelernt. Das gilt auch für eine nachbarschaftliche Ernährungskooperative; unbestreitbar haben wir altertümliche Denk- und Handlungsmuster, die bis in die Dysfunktionalität reichen.
Bei einer selbst gekochten Paprikasuppe erübrigt sich die Befürchtung, ein „Ultra-Lebensmittel“ zu verzehren. Wer Grübel-Bedarf hat, darf jedoch wegen mangelnder Regionalität und Saisonalität ins Grübeln kommen.
Fressanfälle nach Fasten
Als ginge es ums „Haltet den Dieb“, suchen und erfinden examinierte ExpertInnen Fehler in unserer Diät, wobei die Annahme ist, dass rund die Hälfte dessen, was wir so essen und schlingen, hoch verarbeitete Lebensmittel sind.
„Den Übeltätern auf der Spur
Stark verarbeitete Lebensmittel (ultra-processed foods UPF) „leisten ihren Beitrag“ und erhöhen das Risiko, Adipositas, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln.“
Warum eigentlich nur von „Risiken“ berichten, warum nicht gleich: „UPFs und Zivilisationskrankheiten passen zusammen und gehören zum System“?
Das kann man jedenfalls vermuten und versuchen, die Annahme zu überprüfen; so erklärt sich die Pressemeldung mit dem bekannten Fazit: „Weitere Forschung zu stark verarbeiteten Lebensmitteln [ist] erforderlich“.
Weitere Forschung wird auf anderen Gebieten viel wichtiger sein. Um die „hochverarbeiteten Sattmacher“ zu beurteilen, reicht auch der gesunde Menschenverstand, und das gratis. Therapeutisch ist die Frage nach einem „Mittel“ gegen die Fressanfälle beim und nach dem Fasten doch viel relevanter.
Wer sein Paniermehl selbst produziert, hat damit etwas mehr Arbeit als mit gekauftem – aber ein von der Zusammensetzung her „Multi-Paniermehl“ aus Körnerbrötchen, eventuell sogar mit verbackenen Nüssen, hat seinen eigenen Reiz. Damit ist jedenfalls diese Brotsuppe mit Gemüse entstanden,
Die Rolle der Zusatz-Beilage spielen hier kurz gedämpfte Broccoli-Keimlinge mit einem TL Hanföl und einer Prise Salz.
Dann und wann ist auch auf das Thema „Tempeh“ hinzuweisen. Das pilz-fermentierte Produkt lässt sich, wie hier, in die Form eines essbaren, aber nicht wasserdichten Tellers bringen, im Beispielbild waren Haferflocken (!) verwendet worden. Haltbar und essbar ist das so entstandene Produkt aber auch; hier gilt: Höher verarbeitet = hochwertiger!
Unter dem Motto „Vielfalt auf dem Teller“ erscheint es sinnvoll, sich mit relativ ursprünglich belassenen, aber „vernachlässigten Nahrungsmitteln“ wie Tofu, Tempeh, Algen praktisch zu befassen.
Konzepte zu Herstellungs- und Vertriebsformen, die den Erwerb oder Bezug frischer Waren ohne lange Umwege möglich machen, müssten wir auch noch entwickeln und in die Praxis bringen.
„Intuitiv gedacht“ könnte auch das impulsive Essen auf die Liste der ernährungsmäßigen Übeltäter gehören, unter denen unsere Gesundheit leidet. Diese „wilden Impulse“ lassen sich manchmal durchkreuzen:
Ein Lösungsansatz könnte sein, einfach kleinere Portionen auf den Tisch zu stellen. Ein Grünkohlblatt als Platzdeckchen liefert den Verfremdungseffekt und ist nach Gebrauch immer noch verzehrbar, für manche Haustiere jedenfalls…
Bei dem Hühnerfrikassee handelte es sich eigentlich um einen Essensrest, der mit viel grünenm Pfeffer und etlichen Kapern gut aufgepeppt wurde.
“I think we need to strive for health, not weight loss.”
Wenn wir uns um „die Gesundheit“ kümmern, ergibt sich die Lösung des Übergewichtsproblems in diesem Zusammenhang gleichzeitig. Oder auch: Die Adipositas ist gleichsam der Nebenkriegsschauplatz – so ähnlich ist diese Äußerung aus einem nordamerikanischen Foody-Forum wohl zu verstehen.Was viel zu selten vorkommt, ist bei diesen Diskussionen, dass man zugesteht, dass es sich um Meinungen handelt.
Trotzdem werden Ratschläge, Vorschriften und Rezepte gesucht, trotzdem kommt es auf die individuellen Verhältnisse und Zusammenhänge an – darauf läuft auch mein „Handbuch zum Abnehmen“ hinaus, das nicht populistisch genug ist, um erfolgreich zu sein. Heute würde ich ergänzen:
Diätregeln zu befolgen ist kein Zeichen für Unfreiheit, sondern für verantwortliches Handeln. Du verhältst dich regelkonform („nicht daneben“), weil du verantwortlich handelst.
Nach wie vor wichtig finde ich die „Grundsätze der gesunden Lebensweise“ – fast mehr philosophisch als aktuell-wissenschaftlich, oder eigentlich immer noch erfahrungsgemäß-wissenschaftlich zutreffend.
Das Frühlingszwiebel-Zwiebelgrün wird nicht so bleiben, wie es hier ist. Es wird auch noch etwas hinzukommen:
Auch der gewürfelten Aubergine stehen Veränderungen bevor, und sie wird mit industriell hergestellten Raviolo, für die es kein Reiheitsgebot gibt, kombiniert.
Raviolo in Nahaufnahme…
Raviolo-Versammlung vor dem Verspeist-Werden.
Zum Schluss und zum Mitnehmen noch ein kleines Schmankerl aus der Welt der Ernährungslehre:
Man beachte die
Fünf „F“:
- Fasern
- Farben
- Fermente
- Fette
- Familie
Dann hier entlang
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