So tickt der Osten: Vergangenheitsbewältigung und Dekarbonisierung
Geschrieben am 19. September 2018 von KPBaumgardt
In einer MDR-Sendung („… Warum der Osten anders tickt“) meinte ein geladener Zuschauer, viele der in der DDR ausgebildeten Akademiker mit mehr als 50 Lenzen hätten im Nebenfach „Linksextremismus“ studieren müssen, deshalb kämen die meisten Bürger nicht mit dem neuartigen Gesellschaftsexperiment zurecht, bei dem eine monoethnische durch eine multi-ethnische….
Demokratie ersetzt werde. Nach dem sozialistischen Experiment „… wünschen wir, wenn überhaupt Experimente durchgeführt werden, [dass] das mit mehr direkter Demokratie passiert.“
Das klingt, als sei besagte Akademikergeneration geradezu gegen „Linksextremismus“ immunisiert worden – doch finden gesellschaftliche „Experimente“ auch nicht unter Reinraum-Laborbedingungen statt.

Vielleicht hatte zum „sozialistischen Alltag“ mehr Gaffee und Guchn gehört als heute möglich – dann entsteht im Gappidalismus, unter Marktbedingungen, eine Sehnsucht nach „früher“:
In kaum einem anderen Bundesland gibt es so viele gemütliche Cafés, in denen man sich trifft und gern ein Tässchen dünn gekochten „Blümchenkaffee“ trinkt. Eine liebenswerte aber recht eigene Unart der Sachsen ist es, den Kuchen in den Kaffee zu „ditschen“ (tunken).

Vom sächischen Innenminister Holger Stahlknecht lernen durften die „Fakt ist“-Zuschauer (grob zusammenfassend gesagt), dass die Berührungsängste gegenüber rechtsradikalen Gruppierungen im Osten geringer sind als im Westen, weil „West“ mehr Entnazifizierung betrieben hatte als „Ost“, das keine Persilscheine ausstellen konnte, weil die Nazis ja alle im Westen waren.

Die SPD-Landtagsabgeordnete Hanka Kliese aus Chemnitz vertrat die These „Nicht unsere Demokratie ist in einer Krise, sondern unsere Debattenkultur.“
Nachdem alle reichlich über den Hutbürger lachen durften, kommt nun der nächste Knaller … : Straßenschlachten in Chemnitz. … Hier, wo die Menschen … seit der Wende arbeitslos oder undankbar sind. Unsere Stadt ist nun der Kulminationspunkt gewalttätiger Auseinandersetzungen, die es so nur in Sachsen geben kann, oder? Seit Jahren ist unser Bundesland in der öffentlichen Wahrnehmung eine einzige Karikatur.
Es gibt Menschen, die leben in dieser Karikatur. Das sind … Menschen, die sich seit den 1990er-Jahren hier gegen Ausländerfeindlichkeit engagieren; Demonstrationen organisieren, Ausstellungen, Konzerte, Diskussionsabende durchführen. Wir sind keine Exoten und wir sind auch nicht das, was andere gern „mutig“ nennen.

In dem online-Artikel gibt es auch Einblicke in die wenig erfreuliche Chemnitzer Hooligan-Szene. Wenn Gewalt in dieser „Hooligan-Szene“ zum gewohnten Lebensstil gehört, muss alles unterlassen werden, was diese Szene fördert.
Die linksversifften Kaderschmieden der Vergangenheit hatten ja wenig zum Verständnis der johlenden Horden beigetragen, und wenn die Stahlknecht-Analyse zutrifft, kann eine „Entnazifizierung“ hier überhaupt nicht in Frage kommen. Das wäre noch zu prüfen:
„Ein bisschen Diktatur“ bräuchten wir auch heute noch, oder wieder, war eine Äußerung bei einer Straßenumfrage – vielleicht war damit gemeint, dass Hooligans ohne Arbeit besser beim Stall-Ausmisten aufgehoben wären, denn früher hatten wir zwar keine freie Meinung oder Wahl des Arbeitsplatzes, aber Ordnung.
– Eine einfache Lösung scheint es hier nicht zu geben. Den Ursachen der unmäßigen Gewalt- und Gehorsamsbereitschaft nachzugehen, ist wohl viel verlangt. Jeder Erklärungsansatz ist schwierig, muss zudem auf den jeweiligen Fall abgestimmt werden. Ein paar Lektionen „Massenpsychologie“ würden auch nicht schaden.

Was die Sicht auf den „Osten als Karikatur“ betrifft – zumindest der „Hutburger“ hatte sich selbst so dargestellt; sich um Kopfbedeckungen zu ereifern, ist keine ostdeutsche Spezialität, das kann auch Martin Schulz.
Diese „karikativen (oder karikaturesken?) Fälle“ sind natürlich nicht alles. Etwas mehr gesamtdeutscher Austausch über Alltagssorgen und Zukunftsfragen – ist das gewünscht? Wie war das mit der Vergangenheitsbewältigung dieser und jener Deutschen?
Wie war das mit der Leerstelle zwischen Polizei und Psychiatrie – wo die normale Sozialarbeit mit „sehr schwierigen“ (traumatisierten? verhaltensauffälligen?) Jugendlichen überfordert ist (Der Pfarrer aus Köthen hatte so etwas erwähnt)? Könnte das manchmal auch für Einheimische gelten? Gibt es da „nebenbei“ noch ein Drogenproblem, aber keine Therapie?

Weil das Klimaproblem doch recht dringend ist, finde ich, dass die „Entkarbonisierung“ vorrangig bearbeitet werden sollte. Irgenwelche Kappen-, Mützen-, Kippa- oder Kopftuchprobleme dürften gegenüber der gemeinsamen Aufgabe zweitrangig (und nicht egal) sein.
Tomate, Mozzarella, falscher Aceto Balsamico, echtes Olivenöl, echtes Basilikum. Hier ist die Fälschung besser als manches Original, das doch nur eine verkappte Fälschung ist…
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