Vorurteile, ein dünner Anwalt der Dicken und eine Portion Massenwahn

Dass das  regierungsamtliche Motto “fit statt Fett” ein unheilvolles Motto ist, erklärte in der  Süddeutschen Zeitung der Autor von  “Dick, doof und arm” so:

“… hierzulande werden eine sinkende Lebenserwartung, explodierende Kosten im Gesundheitswesen und ein Rückgang der wirtschaftlichen Produktivität immer häufiger mit Übergewichtigkeit und Fettsucht in Verbindung gebracht. Dass diese Behauptung keiner empirischen Überprüfung standhält, wird dabei mit umso schrillerer Rhetorik überspielt.”

Die politische Behauptung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, die aufgrund von Adipositas ausglöst werde, sei falsch:

… denn als "ernährungsmitbedingte Krankheiten" werden unter anderem Beschwerden wie Gicht, Diabetes, Karies, Osteoporose und diverse Krebsarten geführt, die sich schwerlich allein auf ein paar zusätzliche Pfunde zurückführen lassen.

Aber auch diese Argumentation beruht auf Einschätzungen und Nicht-Wissen, und die psychische Dimension der Erkrankung wird erst gar nicht genannt. Einverstanden mag man mit dieser Aussage sein:

Mit einer Intensivierung des gegenwärtigen Kreuzzugs gegen Fette ist den Übergewichtigen jedenfalls nicht geholfen. Eher schon mit einer Abkehr von der Devise "Fit statt Fett", der falschen Alternative. "Fit und Fett oder gesund und rund" – so sollte das Motto künftiger Gesundheitskampagnen lauten. Denn körperliche Bewegung, gesunde Ernährung und Übergewicht müssen sich keinesfalls ausschließen.

Bei “Jungle-world” hat F. Schorb ein Interview gegeben:

Wem, außer Herstellern von Schlankheitsmitteln, nutzt dieser »war on fat«, wie ihn George Bush tatsächlich genannt hat?

Vom Schlankheitswahn profitieren ganz verschiedene Industriezweige.

 

Zum einen natürlich die Pharmaindustrie, die versucht, ihre Abnehmpillen an die Frau und zunehmend auch an den Mann zu bringen. Dann die Anbieter von kommerziellen Abnehmprogrammen wie Weight Watchers sowie unzählige Frauenzeitschriften, die ihre Seiten Woche für Woche mit den immergleichen Diätvarianten füllen. Und natürlich auch Teile der Lebensmittelindustrie. Die Hersteller von Light-Produkten etwa, die ihre gestreckte Butter und ihren verdünnten Joghurt häufig teurer verkaufen als das Original. Ironischerweise sind es nicht selten dieselben Konzerne, die mit dem Verkauf vermeintlicher Dickmacher wie Schokolade, Cola und Kartoffelchips erst reich geworden sind und sich dann eine Light-Sparte zugelegt haben.

Ein Beispiel ist der weltweit größte Lebensmittelkonzern Nestlé, der sich vor kurzem den weltweit größten kommerziellen Diätanbieter Jenny Craig unter den Nagel gerissen hat. So lässt sich der Umsatz auch in einem im Wortsinn gesättigten Markt steigern.

In der weiteren Argumentation allerdings werden mögliche Vorurteile zur weiteren Leitlinie der Argumentation:

Dicksein gilt als Symbol für falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, Sich-gehen-Lassen, Chips-Fressen, Glotzen, Computerspielen und Auf-der-Couch-Herumhängen

Derart undifferenziert sieht m.E. kein Mensch das Problem, jedenfalls niemand, der sich damit auseinandergesetzt hat, oder das Problem hat – selbst wenn die Schilderung im Einzelfall zutreffen sollte.

Hier wirklich sachlich zu bleiben, gelingt wohl nur, wenn man den “Massenwahn Diätenwahn” als gegeben akzeptiert.

   

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