Depression – und Mangel an Sinn

Heute, in der “Welt”, ein Artikel, der die Depression unter dem Aspekt des Mangels abhandelt: Die Hypothese vom  Mangel an Sinn liegt ja auf der Hand,  ist doch die Sinnlosigkeit eine in der Depression häufige Empfindung.

Wenn wir in der Sinnfrage noch einen Schritt weiter gehen, können wir uns eine Frage stellen, die im Falle des Skorbuts so lauten würde: Wenn der Skorbut eine Vitamin-C-Mangelerkrankung ist, welche Nahrungsmittel müssen Menschen zu sich nehmen, um ihren Vitamin-C-Bedarf zu stillen. Wie jedermann weiß, lautet die Antwort: frisches Obst und Gemüse.

Im übertragenen Sinne brauche es nach der Hypothese von Mangel an Sinn einer seelischen “„Nahrung“ […] um den Sinnbedarf des Menschen zu stillen”.

Hypothesen darüber, um welche Bedürfnisse es sich hier handelt, gibt es schon lange, sowohl seitens der Philosophie als auch der Psychologie. …  Um die Skeptiker zu überzeugen, bedurfte es der Erkenntnisse der modernen Neurobiologie. Sie hat in den letzten Jahren tatsächlich Antworten auf die Frage geben können, welche Bedürfnisse befriedigt werden müssen, welcher „Nahrung“ es bedarf, um den menschlichen Organismus vor der Sinn-Mangelerkrankung Depression zu schützen.

Nun ist es bedauerlich, dass hier keine Namen und Quellen genannt werden…

Die Antwort der Neurobiologie: Der Mensch braucht, um keinen Sinnmangel zu erleiden und nicht in Depression zu verfallen, zwischenmenschliche Anerkennung, Zuwendung und Sympathie. Wir benötigen, um Sinn zu erleben, andere Menschen, für die wir Bedeutung haben.

Bei den Grundbedürfnissen geht es noch weiter:

Menschen brauchen, um gesund zu bleiben, Bindungen. Das Bedürfnis nach Bedeutung, Wertschätzung und Anerkennung ist also keineswegs nur ein psychologisches Bedürfnis (diesbezügliche Annahmen wären nicht neu), sondern es handelt sich – wie neurobiologische Studien zeigen – um ein biologisches Bedürfnis.

Wieso bei dem Bedürfnis nach Bindung, Wertschätzung und Anerkennung von Annahmen gesprochen wird, bleibt unerfindlich. Es handelt sich dabei durchaus um gesicherte Erkenntnisse, jedenfalls, was die Säuglingsforschung betrifft.

Menschen, die den Verlust einer Bindung oder einen schwerwiegenden und lang anhaltenden Mangel an Wertschätzung durch andere erleiden, erleben eine messbare Veränderung ihres neurobiologischen Substrats: Die Motivationssysteme des Gehirns stellen die Synthese von lebenswichtigen Botenstoffen wie Dopamin ein. Gleichzeitig kommt es zu einer Aktivierung der neurobiologischen Stress- und Angstsysteme – unter anderem mit einem Anstieg der Stressbotenstoffe Cortisol und Noradrenalin. Das psychische Korrelat dieser neurobiologischen Veränderungen sind Gefühle der Sinnlosigkeit, der Leere, der Angst, des Selbstzweifels und des Lebensüberdrusses.

Was den “Verlust der Wertschätzung durch Andere” betrifft, müsste allerdings auch genau analysiert werden, welche Wertschätzung hier abhanden gekommen ist: War es eine wirkliche, echte Wertschätzung, oder nur eine Wertschätzung, die quasi parasitär war?

Ich denke hier an die Formel: “Er verdiente Liebe”, wie sie im Mythos von Narziss verwendet wurde: Durchaus doppeldeutig, aber in der Praxis doch durchaus auch so ausgeformt, dass nur “Gegenliebe” von Seiten der Bezugspersonen “zu bekommen” war; die “primäre Liebe” bildet sich definitionsgemäß ja auch beim Säugling heraus. 

Als notwendige Bedingungen für die Entwicklung des Selbst sind hier schon einmal genannt worden:

  • Physiologisches Versorgt-werden
  • Zuverlässige Bindung
  • Neugier und Selbstbehauptung
  • Sexualität und Sensualität
  • Aversion als ein eigenständiges Bedürfnis, sich vom Objekt abzuwenden und sich selbst zuwenden zu können.

Das spannendste am “Welt”-Artikel war m.E. die Einleitung:

Zwei junge Fische begegnen schwimmend einem alten Fisch, der in die Gegenrichtung schwimmt. Der alte Fisch fragt im Vorüberschwimmen: „Na, wie gefällt euch das Wasser?“ Die jungen Fische schwimmen zunächst noch ein Stück weiter, dann fragt der eine den anderen verwundert: „Was zum Teufel ist Wasser?!“

Das Gleichnis des Schriftstellers David Foster Wallace, der im September  2008 mit 46 Jahren starb, bedeutet vielleicht, dass es Depressiven wie einem Fisch ohne Wasser geht, analog zu den oben angeführten Mangelzuständen.

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Ein Kommentar zu “Depression – und Mangel an Sinn”

  1. […] der letzte Beitrag schon die Beziehung zwischen der Zeitkrankheit Depression und Sinnlosigkeit angesprochen hat, wurde […]

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