Fressnet – die Anti-Scharlatan-Anti-Adipositas-Kur
Geschrieben am 4. Februar 2023 von KPBaumgardt
Geht es nach der Gesellschaft, gibt es keine Adipositas-Seuche und folglich reichen unwirksame Behandlungen für Einzelfälle, die anderen Einzelfälle sind selbst schuld und sollen sich selbstverantwortlich selbst kurieren.
Bücher oder andere Schriften, die „Erfolgreich abnehmen“ versprechen, sind Dauerbestseller, wenn sie auch immer wieder durch Andere ersetzt werden müssen, weil sie trotz Allem zum Ladenhüter verkommen.
Nebenbei gesagt: Das Wort „Erfolg“ beinhaltet die oder das „Folge(n)“, kein Erfolg also, ohne dass etwas vorausgeht, sei es eine Handlung, eine Entscheidung oder ein Entschluss.
Wenn auch ein Wissenschaftsverlag ein Sonderheft mit diesem einfachen Strickmuster vorlegt, muss das nichts Gutes heißen. Ich habe allerdings ein wenig mit den Schlagzeilen gespielt, und eine unangenehme „Nebenwirkung“ angesprochen, die ja nur selten ausbleibt.
Gerne nehmen wir an, dass zum Abnehmen veränderte Verhältnisse gehören, etwa ein „neuer“ Lebensstil, ein Fitnessurlaub, eine Umstellung – und meist haben wir hierzu auch schon schöne Erfahrungen gemacht, doch recht selten lineare Fortschritte. Da gibt es Wochen, in denen große Fortschritte gemacht werden, und andere, in denen nichts passiert. Es kann auch Rückschritte geben – dann wird es schwierig.
Ein Dr. Hirschhäuser (Name geändert) bietet indes das „Einfach Schlank“- Sonderheft an, verspricht, zu erklären,
„Wie Sie einfach unliebsame Gewohnheiten
ändern und erfolgreich abnehmen.
Plus Erkenntnisse der Psychologie,
die beim Neustart helfen.“
„Einfach schlank (werden)“ oder „erfolgreich abnehmen“ muss ein derart verbreiteter Wunsch sein, dass Rezepte zu diesem Klischee sich verbreiten wie auch die sonstigen verbreiteten Vorurteile oder Ressentiments. Ob die Rezepte von Taschenspielern und Trickbetrügern allerdings halten, was sie versprechen, wäre eigentlich genau zu prüfen.
Psycho-Erkenntnisse wie „Die Meisten wissen nicht, was sie wollen, sind also mit dem beschäftigt, was sie nicht wollen, und das bekommen sie dann auch“ gibt es gratis an jeder Ecke, also z. B. „Jeder ist seines Glückes Schmied, und wie man sich bettet, so liegt man“ – so ungefähr.
Und weil keinen Erfolg haben auch bedeuten würde, ein Versager zu sein, nimmt man sich das Ziel vielleicht gar nicht erst vor, oder versucht es, gestützt von einem Doktor für alles menschlich-medizinische, der wohl auch Psycho-Kenntnisse vermitteln soll, auf dem wissenschaftlich angeleiteten Weg.
Ob dieser „Reiseleiter“ neben seinen Psycho-Neuigkeiten, bei denen man noch gar nicht weiß, ob es auf sie ankommt, noch notwendiges philosophisches, pädagogisches oder gar „spirituelles“ Rüstzeug anbietet – diese Frage stellt sich bei all dem Reisefieber erst gar nicht. Man abonniert gewissermaßen einen Reiseführer, um aus den gegebenen Schwierigkeiten herauszukommen.
Wie das wäre, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf herauszuziehen, hat uns der Baron Münchhausen vorgemacht, nach dessen Vorbild macht man uns immer noch ein X für ein U vor…
Münchhausen hat es ja sogar geschafft, nicht nur sich, sondern gleich auch das Pferd anzuheben – das Prahlen mit angeblichen Glanzleistungen ist heute diskreter. Meist wird weniger von der eigenen Glanzleistung erzählt, beim Lügengeschichten-Verkauf geht es um den mühelos zu erzielenden Erfolg, also Essen ohne Reue, ohne Verzicht, ohne „Nein“, nach dem Motto „Du darfst“. So ein „Nein“ ist das klassische Beispiel für eine pädagogische Intervention mit dem Tenor „das darfst du nicht“; klar, dass Kind nicht die Stricknadel in die Steckdose stecken darf und nicht auf die heiße Herdplatte greifen darf.
In der „Diät-Antipädag0gik“ kommen kontrastweise Slogans wie „Verbote sind verboten“ ans Licht, vermutlich, weil es widerspruchsärmer hingenommen wird, als Verbote, bei denen man zumindest mit einem „Warum“ rechnen muss. Dass man die Begründungen auch übertreiben kann, ist eine andere Sache, wobei gerade individuelle und gesellschaftsgefährdende Gesundheitsgefahren, Massenerkrankungen wie die Adipositas und alles, was sich daraus entwickelt, „gerne“ verdrängt werde
Verbieten würden, überspitzt gesagt, wortradikale Veganer am liebsten noch die Fleischtomaten.
Alleine der Anblick von rohem Fleisch zwingt viele dazu, sich die Augen zuzuhalten:
Die Realität der Fleischindustrie lässt gegenüber dem Leiden der Tiere, der Ausbeutung der Menschen und dem unerhörten Ressourcenverbrauch eigentlich keinerlei „Weiter so“ zu. Die Zerstörung von Lebensräumen – vor allem die Abholzung von Wäldern – und die industrialisierte Landwirtschaft haben dazu geführt, dass Fleischkonsum und schlechtes Gewissen sich aneinander annähern. Dagegen entspräche die philosophische Begründung des Veganismus nicht „… Michael Sontheimers Analyse, „daß Medienprodukte sehr konsumabel und flach sein müssen, um ihren wirtschaftlichen Zweck zu erfüllen““.
Wären wir besser mit magischen Fähigkeiten ausgestattet, könnten wir diese Widersprüche einfach wegzaubern oder -hexen. Schon im Kinderkanal wird mit diesem Gedanken sympathisiert:
„Wunder gibt es immer wieder“ war wohl nicht zufällig ein erfolgreicher Schlager, und der Massenkonsum von Diätratschlägern beweist wohl, dass solche Formen des Wunderglaubens weit verbreitet sind, neben allerlei privatem Aberglauben wie, dass „Abnehmen“ auf einer mustergültig geraden Linie stattfände.
Wissen macht mächtig, und hochverarbeitete Nahrungsmittel wie Chips, Wurst oder Cornflakes machen dick. Wer in diesem Teufelskreis, bei dem gezuckerte Getränke mitspielen können, noch immer Fehler macht, muss da heraus; es zu wünschen allein genügt nicht.
Wenn wir schon beim entzaubern sind – hier ist die gar nicht magische Formel zum Abnehmen, wie gesagt, keine Zauberformel – zu der wird sie scheinbar, wenn Du Dich daran hältst.
Δ cal_in_<_cal_out
Es kommt auf die Differenz („Delta“, symbolisiert durch das Dreieck Δ) zwischen den „eingenommenen“ Kalorien („cal“) und den „ausgegebenen“ (verbrauchten) Kalorien an, wobei „cal_in“ kleiner („<„) als „cal_out“ zu sein hat.
Das soll nicht heißen, dass es darum geht, Kalorien zu zählen. Manche können das, andere nicht. Man könnte auch die Portionen zählen und protokollieren, manchmal stellt sich dabei ein Gefühl der „Überkontrolliertheit“ ein.
Es gibt Essstörungen, die auf dem Wechselfeld von Kontrolle und Rebellion beruhen; ob jemand essgestört ist oder nicht, hängt davon ab, ob das Verhalten der Gesundheit nützt oder ihr schadet – es gibt sozial bedingte Essstörungen, die kaum systemisch behandelt werden, stattdessen Diskussionsbeiträge, bei denen sich „die Katze in den Schwanz beißt“, wenn auch das bessere, neuerdings empfohlene Handlungsmodell nicht funktioniert:
Adipositas: Kleinere Mahlzeiten effektiver als Intervallfasten
Solche Studien sind sowieso fehlerhaft: Mal sind die kleinen Portionen größer als klein, mal wird die Fastenphase nur fast ohne Nahrung überstanden, sprich: Zwischendurch Naschen ist verboten und wird also verschwiegen. Dass viele Produkte so „hochgezüchtet“ sind, dass man, hat man erst einmal angefangen, nicht mehr aufhören kann, ist ja durchaus nichts Neues.
Bei diesen Blinies (mit Heidelbeer-Sahnequarkcreme) wird es sich nicht um die Letzten ihrer Art handeln – bestimmt kommen sie bald wieder auf den Tisch.
Bei unsereins ist das zyklische Ab- und zunehmen wohl nicht so regelmäßig, und „anders gesetzmäßig“ als beim Mond – doch es wäre vielleicht gut, mehr darüber zu wissen. Wenig wissen wir über Anziehung und Abstoßung, balancierte Zentrifugalkräfte und vor allem davon, wie das Alles entstanden sein mag.
Und wie wir weitermachen wollen-sollen-können, wird hier bald diskutiert werden.
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