Delikatessen – besser als „Ersatzprodukte“

Die besten Kristallkugelleser(-innen) der Republik haben sich darauf geeignet, dass der Ausgang der Bundestagswahl vom Sommer abhängen wird: Wird es unerträglich heiß, muss die Wasserversorgung rationiert werden, und das Wahlvolk führt das auf den Klimawandel zurück – Ihr könnt Euch das auch selbst ausmalen, wer warum und wo das Kreuzchen auf den Stimmzettel malen wird.

Das hat also viel mit Ängsten zu tun, wobei neurotische Angst und Realangst zusammenfließen, und die realen Ängste aufs vortrefflichste verdrüngt werden können:

An der Fleischtheke etwa kann der Schrecken des antibiotikavcerseuchten Billigfleischs ganz schnell zurücktreten, wenn der Einkauf schließlich unter dem Diktat des Preisschilds geschieht: Dann ist das Tierwohl gar nicht mehr entscheidungsbestimmend.

„Käsekuchen“ mit Quark, saurer Sahne, Kefir, gepopptem Amaranth, Blaubeeren, Himbeeren, Reismehl, Ei, wenig Zucker – energiesdparend zubereitet im Multicooker. Aus dem Kapitel „Resteverwertung“, auch in größerer Darstellung lieferbar…
„Billig“, „günstig“ und „preiswert“ gehören zu einem vom Markt geprägten „Jagdinstinkt“, dessen Verbindung zur Vernunft wissenschaftlich wenig untersucht ist.

 

Bei dem Milch/Käseregal geht es ähnlich zu – wir könnten uns „das System Milch“ (Review zum Arte-Film) immer wieder anschauen, und die Konflikte würden nicht verschwinden: Dass deutsches, unter erheblichem Energieaufwand eingedampftes Milchpulver afrikanische Märkte verdirbt, so dass die Söhne der Milchviehhalter sich auf den Weg in „gelobte Länder“ machen, Opfer von Schleppern werden, im Mittelmeer ertrinken, auf Auffanginseln fern von Menschenwürde eingepercht werden, als Illegale versklavt oder nach sinnlosem Leid „zurückgeführt“ werden, ist so bekannt wie in den üblichen Debatten über „Integration“ und „Gerechtigkeit“ kein Thema.

 

Während also die Chines*Innen ihren wenigen Kindern Kuh-Milch verabreichen, damit sie groß und stark werden, zeigt ein Fußballer, wie man Konzerne schockieren kann:

Cristiano Ronaldo verursacht Coca Cola Milliarden-Schaden

Fußball-Weltstar Cristiano Rolando schiebt in einer EM-Pressekonferenz Flaschen des Sponsors Coca Cola demonstrativ weg und tauscht sie gegen Wasser aus. Die Marktkapitalisierung von Coca Cola sank nach der Aktion um vier Milliarden Dollar.

Das Image solcher Konzerne hängt von der öffentlichen Meinung ab, und die wird nicht nur von Werbekampagnen bestimmt – vielleicht sind wir auch schon an einem Kipppunkt vorbeigekommen, und Propaganda wird als Versuch, falsche Tatsachen und Wünsche unterzuschieben, abgelehnt.

 

Weiter gibt es noch Spezialisten, die als „BeeinflusserInnen“ für die Meiningsbildung zuständig sind, die sehen zum Beispiel Fleischersatz, wo eigentlich ordentliche pflanzliche oder vegetarische Nahrungsmittel zu sehen sind.

Ich sehe hier Soja-Tempeh im „Tempura-Mantel“, mit Soja-Frischkäse-Creme, einmal mit Srirracha-Sauce, und die Vergrößerung macht deutlich, dass es sich einfach um ein pflanzliches Produkt handelt, und nicht um Fleischersatz. Wer sich je getraut hat, „Kunsthonig“ zu probieren, wird die allgemeine Ablehnung von „Ersatzprodukten“ besser verstehen.

 

„Kichererbsen im Pelz“, genau gesagt: In watteähnlichen Pilzfäden des edlen Rhizopus microsporus var. oligosporusnoch nicht ganz verzehrfertig, und eindeutig kein Tier, also auch kein Fleisch.

 

„Die Nische wächst“, formuliert die TAZ, und (trotzdem): „Tempeh bleibt ein Nischenprodukt.“ Ein kleines „noch“ ist aber in der Artikel-Adresse auch zu finden, und gleich am Anfang des Artikels der Hinweis, dass im Duden Tempeh nicht zu finden sei.

Tempeh“ ist im Duden unauffindbar, und in unseren Medien fehlt der Hinweis, dass Tempeh nicht aus dem Nichts kommt, dass und wie man es mit wenig Mühe und ein wenig Übung in der eigenen Küche machen kann, dass man aber auch Formen des Vertriebs in der Nachbarschaft entwickeln kann, wenn… – darüber wäre zu reden.

Zu reden wäre zunächst auch über Fermentation: Man schmecke, dass Tempeh, anders als Tofu, ein Fermentationsprodukt wie auch Sauerkraut sei, und damit (zu) eigentümlich im Geschmack, war im Blitzdurchlauf eines Podcasts „Fleischlos glücklich – mit Seitan, Tofu, Tempeh und Quorn“ zu hören.

Bildungsbedarf besteht auch bei der „zweiphasigen Marinade“, Forschungsbedarf bei der zweiphasigen Fermentation…

 

Ich will hier nicht beurteilen, ob sich Vanille zu Vanillin so verhält wie Fleisch zu Fleischersatz, aber es könnte so verstanden werden, und wenn die Menschheit sich an Vanillin gewöhnt, gewöhnt sie sich vielleicht auch an „Fleischersatz“. Dann bleiben die frustrierten Gourmets, die Fleischverzehr mit echtem Fleisch von glücklichen Tieren (Hauptsache teuer, denn Geld spielt keine Rolle) zelebrieren und sich über die Unkultur der Aromenkultur und Billigfleischverzehrer künstlich aufregen, übrig.

 

Hier geht es um den „Produktionswert von Fleisch und Fleischersatzprodukten in Millionen Euro“, vermutlich in Deutschland und pro Jahr. Das kleine grüne Kügelchen wächst, und sagt bei strenger Definition nichts über Tofu oder Tempeh aus: Denn beide sind so sehr Fleischersatz wie die Pommes aus der Frittenbude – Das sind eigenständige pflanzliche Produkte, die im Rahmen einer fleischfreien Kost genossen werden können, aber auch zu Fleisch passen.
Wo es um Milliardensummen geht, sind die Statistiker manchmal überraschend großzügig…

 

Während die Einen sich auf wachsende Renditen im Lande der panierten Pflanzennuggets freuen, propagieren die Anderen die Halbierung der Fleischproduktion – aus Gründen der Gesundheit, des Erhalts der Umwelt, des Tierwohls – vielleicht wäre diese Liste noch fortzusetzen?

Ohnehin muss der Co2-Preis schnell angeoben werden, und vielleicht kommen auch solche Maßnahmen schon zu spät.

Würde gleichzeitig der Methan- und Lachgasausstoß gerecht bepreist, bekämen wir interessante neuartige Lebensmittelpreise – und vielleicht auch alternative Lebensmittel.

Die gibt es zwar noch nicht, aber den Willen, sie zu gestalten, doch auch der hat seine Tücken: „Gestalterisch schöpft … [das moderne Subjekt] aus sich heraus, um aktiv, kreativ und produktiv zu sein. Doch schlägt der Drang zum Schöpfen schnell in Erschöpfung um.“

Das passt, hat seine Implikationen, ist mir aber leider „zu hoch“. Philosophie, eben: „Du sollst die politische Dimension der Depression nicht vergessen“!

 

Chiccoree in Pilzsauce, mit Grillbrot und Tempeh – als Beipiel für mögliche Innovation, Neukombination auf dem Teller.

„Gesunde Bakterienvielfalt“

Bei gesundheitstrends.com, die mit einer schönen Adresse in Wien firmieren, stellt ein Artikel mit Ernährungs-Bezug „5 fermentierte Lebensmittel für die Darmgesundheit“ vor, denn die seien „Schmackhaft & haltbar“.

Kombucha gebe es in „verschiedenen Geschmacksvariationen“ zu kaufen – dass handelsüblicher Kombucha sterilisiert ist, ändert allerdings die Sache mit der „Bakterienvielfalt“ erheblich.
Kefir: „Der hohe Eiweißgehalt sorgt für ein langanhaltendes Sättigungsgefühl.“
Damit sollten wir Kefir mehr als Nahrungsmittel, weniger als Getränk verstehen.
Kimchi, Sauerkraut und Tempeh werden ebenfalls je mit drei Zeilen Text versehen; Kimchi rege die Verdauung an, Sauerkraut solle, roh gegessen, „… sogar gegen Depressionen oder Angstzustände helfen“, und das mit allen essentiellen Aminosäuren ausgerüstete Tempeh gelte „…daher als vollwertiger Eiweißlieferant und beliebter Fleischersatz bei vegan Essenden …“.

Die Inhalte, die so verbreitet werden, kann ich nicht nützlich finden: Wenn rohes Sauerkraut falsch dosiert oder kombiniert wird, kann es Durchfall verursachen. Wo ist jetzt die Unterstützung bei depressiver Befindlichkeit? Oder hat in der Vorzeit mal ein Scherzkeks den Spruch „sauer macht lustig“ aufs Sauerkraut bezogen und wörtlich genommen?

Wie viele „Veganer“ kennen Tempeh denn überhaupt?
Was soll das, wenn „Fleischessern“ der Eindruck vermittelt wird, Tempeh sei nichts für sie, sondern ein bei „den Anderen“ beliebter Verzehrspass?
Wieder haben wir das Vorurteil, Tempeh sei ein „Ersatz“ und beliebt (nur?) bei Veganern. Das wird dann beworben mit einem Slogan „Bewusst ernähren, Bewusst leben“. „Bewusst“ wird derart überbetont, dass es zweimal in durchgängiger Großschreibung erscheint…

Wir stellen fest: Es ist offenbar gar nicht so schwierig, mit Hypermärkten grüne Wiesen zu überformen, doch nahezu unmöglich, dort auch regional produziertes, frisches Tempeh anzubieten.

 

Langzeit-mariniertes, frittiertes Tempeh mit Sriracha-Würzdeko, Tempura-Zuccini, gedämpfte Karotte

 

Erstaunt war ich kürzlich über einen Artikel in der „Tageszeitung“:

„Das Paradox der Sojabohne“

Seit 2008 verzeichnet der Fleischersatzmarkt in Deutschland ein stetes Umsatzplus von jährlich rund 30 Prozent. … Allein in und um Berlin vertreiben aktuell drei regionale Tempeh-Unternehmen ihre Produkte. Die Menschen suchen nach Alternativen zu Fleischwurst und Grillsteak. Tempeh könnte die nächste sein.

 

Auch von der Wahrscheinlichkeit, dass auf dem wachsenden Tempeh-Markt sich eine gewisse Dynamik der Konkurenz entwickelt, wurde im TAZ-Artikel geschrieben.
Das mag so sein, und wenn wir Tempeh-Massentransporte auf den Straßen überflüssig machen, weil viele lokale Produktionsstätte die Tempehversorgung übernehmen, hat das ja auch eine positive Seite. Die Landwirt*innen (das Wort „Bauer“ scheint irgendwie verpönt) können und sollen auf diesen anrollenden Zug beruhigt aufspringen.

 

Fleischersatzprodukt“ trifft den Sachverhalt allerdings gar nicht, in Bezug auf Tofu wird das Falschverständnis aufgeklärt, im

„… ostasiatischen Raum, wo Tofu seit Jahrtausenden fester Bestandteil der Speisekarte ist, werde das eiweißreiche Sojaerzeugnis nie nur als Ersatzprodukt serviert, sondern beispielsweise auf Bauchspeck gespickt, in der Ramen-Suppe mit Ei und Rindfleisch würzig verkocht oder als Dessert mit Sirup serviert“, erklärt ein Mitglied der Berliner Tofu-Tussis – Tofu ist, so gesehen, als Delikatesse zu verstehen.

Wobei menstempel schn ell überladen wirkt, wenn das Element „Delikat“ noch dazukommt – und ob zweifarbige Stempel überhaupt möglich sind?
Ich bin doch kein Graphik-Designer – doch soll man sich, wenn es um Vertrieb und Vertriebswege geht, nicht an zweitrangigen Details aufhalten 😉 .

 

 

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