Lebensbedrohliche Adipositas, tödliche Begriffsverwirrungen

Abnehmen um zu überleben

– das war der Titel einer Reportage des 1. Fernseh-Programms; es ging um schwere Fälle von Adipoisitas, die man nach meinem Gefühl vor einigen Jahren so noch nicht im Fernsehen gezeigt hätte – sozusagen das volle Programm am Beipiel einer schwer erkrankten Patientin, die mit einem der wenigen Schwerlast-Krankenwagen in eine neue Spezialklinik gebracht und dort „versorgt“ wurde.

Auch den krassen Titel halte ich in diesem Sinn für „modern“ oder neuartig:  Wenn es auch in der Mehrzahl nicht ums reine Überleben geht, also akut lebensbedrohlich ist, wird die Medizin doch oft bei allen möglichen möglichen übergewichtsbedingten Erkrankungen gebraucht. Diese „Begleiterscheinungen“ stellen sich wie gesetzmäßig ein – und grenzenlos ist die Fähigkeit der Ärzte, die Folgekrankheiten zu „reparieren“, wirklich nicht.

Es gibt theoretisch einen Punkt, ab dem man als Übergewichtige(r) Unterstützung braucht, wo sich etwas ändern muss und bereits deutlich ist, dass das Leben in eine falsche Richtung geht und die vorhandenen Bewältigungsstrategien – der Begriff „Verhaltensweisen“ verharmlost auf der sprachlichen Ebene, indem er von ursächlichen Krisen, Traumata und Defiziten ablenkt. „Je früher, desto besser, desto präventiver“ könnte man meinen, wäre es, „andere Saiten aufzuziehen“ und grundlegend sein Leben zu ändern, „die Notbremse zu ziehen“.

Jedoch  ist eine Langzeitbehandlung oder dauerhafte Begleitung im System nicht vorgesehen. Möglich wäre vieles, angepasst an die spezifischen Bedürfnisse und – mit diesen Wörtern muss man vorsichtig sein – Mängel, Verluste, Beeinträchtigungen und Defizite. Adipositas kann natürlich auch aufs Gemüt schlagen – nicht nur wegen den gesellschaftlich gern verbreiteten Schönheitsidealen, die mit schon wenigen Extra-Kilos unvereinbar sind, heftige Plagen kann auch das Bewusstsein verursachen, wenig Einfluss aufs eigene Gewicht zu haben, „das“ nicht zu können – das ist zwar so gut wie normal, wird aber gern geleugnet von den Besserwissern mit ihren Patentrezepten in der Art von „du musst nur a,b,c befolgen und viel ungesüßten Tee trinken“.
Trifft man dann noch auf „kalte“ HelferInnen der Sorte, die ein „schwieriges, krankes Klientel“ als Umfeld brauchen (mit dem sie despektirlich/ignorant/hochnäsig umspringen können), ist es für die „Klienten“ desto kräftezehrender, diese Enttäuschung zu überwinden: Eine Kränkung kann schießlich noch kränker machen.

Mitpatienten sind in der Situation keine Hilfe, wenn sie selbst in der Unterganssituation sind, haben sie höchstens einen Strohhalm abzugeben, an den sich eigentlich niemand klammern sollte.

Und bei manchen HelferInnen wünscht man, dass sie regelmäßig an einer Nachschulung  teilnehmen – gerade, wenn sie alles besser zu wissen und zu beherrschen glauben, während sie die eigenen Defizite hinter der professionellen Fassade verstecken.

 

Postoperativ ist eine lebenslange medizinische Betreuung vorgesehen – einer der Gründe, dass Krankenkassen die OP ungern bewilligen. Aber die Operation wird im Film samt Nachoperation ausfühlich gezeigt, als Faszinosum, das offenbar den Schwerstkranken vorbehalten ist, und „uns“ als „Lösung“ hoffentlich erspart bleibt.
Ob in solchen schweren, oder auch leichteren  Fällen die „Ich-Struktur“ oder die „Konfiguration des Selbst“ der Patienten auch ohne magenverkleinernde Operation eine langfristige Unterstützung erfordert, wird jedoch noch nicht einmal angesprochen oder gefragt.
Professionell mit Adipositas befasste Spezialisten sind auf die Ernährung fixiert, oder auf Pharmakologie, Allgemeinmedizin oder eben Chirurgie. Ein wenig Verhaltenstherapie ist manchmal im Angebot, aber ein knappes Gut, das vielleicht die Schichten, auf die es ankommt, nicht erreicht.

 

Beim „krankhaften zu-viel-Essen“ oder neudeutsch bei der Binge-Eating Disorder, die das Problem als „Schlingen“ bezeichnet, können wir in der Diskussion so eine Aussage finden:

„In der Therapie wurde mir klar, dass ich alle meine Probleme versucht habe mit Essen zu lösen. Es ging also nie um das Essen an sich, sondern um meine Psyche.“

Nein!

Dieses Verschlingen nicht nur des Essens, sondern der Naschereien, Zwischendurch- und Extra-Snacks ist

  • a) definitiv keine Lösung und
  • b) auch kein Versuch, Problemlösungen zu finden, sondern
  • c) das Zudecken der Probleme, eine Art der Betäubung und
  • d) Ausdruck der inneren Haltung, nach welcher „zuviel“ fälschlich mit „gerade genug“ übersetzt wird. Fügen wir unter
  • e) noch hinzu, dass flüssige Kalorien von der Hungerregulation weitgehend ausgeschlossen sind, merken unter
  • f) an, dass alkoholische Flüssig-Kalorien den scheinbaren Hunger vergrößern können und berücksichtigen wir auch –
  • g) wie Gustav, dass alles, was wir im Stehen oder gehen essen, auf wundersame Weise im Bewusstsein ausgeblendet wird.

 

Mit „satt“ ist ja nicht der übersatte Zustand bezeichnet, bei dem  n i c h t s  mehr in den Magen passt, doch spielen solche „Feinheiten“ auch in der „öffentlichen Diskussion“ keine Rolle, oder eine skurrile Rolle.

 

Therapie mit Zielen

„Die Therapie der Adipositas“ – das ist ein ungeschriebenes Buch mit ungezählten Artikeln. Ein Ziel einer solchen Therapie könnte sein: „Essen und Trinken mit Maß und Ziel, mit Vernunft, Genuss und (nicht zu viel) Verstand…

Man darf sich – auch, was weitere „Nebenziele“ betrifft – nicht verzetteln, um sich nicht im Kreis zu drehen und schließlich sich mit unlösbaren Gordischen Knoten auseinanderzusetzen.

Die Bedingungen der „Selbstmodulation“ sind schwierig genug; die Erkenntnis, dass Adipositas zu entwickeln einem schleichenden Selbstmord verdammt nahe ist, ist auch keine schöne Motivation.

 

 

„Information“ und Vorurteil

Zum Vergnügen, eine Sonntagszeitung zu lesen, gehört es, bei der Lektüre eine tiefe Übereinstimmung zwischen gedruckter Meinung  und eigenem Bewusstseinszustand zu empfinden. Politik allgemein, Wirtschaft, Aktienkurse, Auto-Neuerscheinungen und „etwas über Gesundheit, allgemein“ sind dann beliebte Themen, bei der zweiten Tasse Kaffee am Morgen.

Ein schönes Beispiel liefert der „Independent„:

„Poor-quality vegan diets may leave people at higher risk of cardiovascular disease than if they ate traditional fare, a conference in Dublin was told yesterday.“

Eine Nachricht, die einschlägt wie eine Bombe! Wer von den LeserInnen hätte das gedacht: Es ist tatsächlich ungesund, sich vorzugsweise von gezuckerten Getränken, Biskuit, Knusperzeugs, Süßigkeiten und Kuchen zu ernähren?

Zwar ist die gekonnte vegane Ernährungsweise etwas ganz Anderes, aber es musste gesagt sein:
„Vegan kann schädlicher sein als „tradidionelle Kost“!

Zur Finazierung der Dubliner Konferenz schweigen wir wohl am besten, und fragen auch gar nicht nach, was der Quatsch denn Neues gebracht hat.

Wirklich interessant wäre ja für die traditionellen Leser mit der traditionellen Kost, sich über diverse Modelle der alternativen Ernährung aufklären zu lassen, dieses Projekt aber lassen die traditionellen Journalisten unter dem Teppich verschimmeln. Die „Information“ beinhaltet somit die Halbwahrheit, die Desinformation und die Bestätigung des Vorurteils: „Sag‘ ich doch schon immer, und niemand soll etwas gegen unsere  kulinarische Tradition sagen, denn: Hauptsache heiß und fettig, gekühlt und süß!“

Das ist gesellschaftlicher Konsens, der so auch vom Großteil des „Lebensmittel-Angebots“ widergespiegelt wird. Doch der Konsens macht krank.

 

Eine Sonderfrage der Kostform

Da gibt es – in einem anderen Sektor –  Leute, die nach Gutdünken (nicht nach allgemein anerkannten Maßstäben) Menschen in rechts und links sortieren wie Aschenputtel im Märchen die Linsen…

Finde die Fehler!
 

„Der Mitbegründer des Klimaprotestbündnisses Extinction Rebellion (XR), Hallam, sorgt …  für Empörung. In einem „Zeit“-Interview nannte er die systematische Ermordung von Millionen Juden „nur einen weiteren Schwachsinn in der menschlichen Geschichte“. …

Hallam sagte der „Zeit“, Genozide habe es in den vergangenen 500 Jahren immer wieder gegeben. Deshalb könnte man sagen, dass es sich um ein „fast normales Ereignis“ handle.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Buschmann, schrieb in dem Kurznachrichtendienst [Twitter], Hallam und AfD-Parteichef Gauland träfen sich in ihrer Verharmlosung des Holocaust.

  • „Es zeigt sich: Radikale Linke und Rechte sind sich in ihren Positionen oft näher, als sie denken.““

Einen Vergleich zwischen Holocaust und Klimakrise zu ziehen, verbietet sich; eigentlich unbedingt. Offenbar hat Hallam bewusst provoziert, um Journalisten ins Unrecht zu setzen. Das ist nicht redlich, nicht aufrichtig und keine zukunftsweisende Strategie, das ist vor allem nicht „links“ oder fortschrittlich. In Hinblick auf die Frage nach der Klimakrise und nach den Informationen, die uns über sie vermittelt werden, verbietet sich ebenso der Vergleich Hallam-Gauland.

Die Fake-Graphik mit dem Politiker Buschmann soll zum Ausdruck bringen, dass Hallam überhaupt nicht selbstverständlich als „Linker“ zu verstehen ist, aber als Vehikel benutzt wird, Linke und Rechte gleichermaßen als Relativierer der Geschichte abzustempeln.
Buschmann wirft alles, was nur irgendwie radikal ist, unter Rühren in einen Topf und behauptet, nun seien Linke und Rechte einander „in ihren Positionen“ näher, als sie selber dächten. Die dicke Ekelschicht in Buschmanns Kochtopf ist krankhafter Nationalstolz, auch „Nationalismus“ genannt.  Wie konnte der in dieses Gebräu hineinkommen?
Zur erklärungsbedürftigen Frage „Was ist links, was ist linksradikal?“ schweigt sich die „LINKE“ allerdings aus, und „die Presse“ ist stillschweigend und besinnungslos mit fehlerhaften Annahmen hierzu einverstanden.

 

Praxisorientierung

 

Selbsteingekochte Gemüse-Fleischbrühe siebenmal – von erfahrenen und gelehrten – führenden – Ernährungsfachkräften empfohlen. Zubereitet im energiesparenden Multicooker eine ressourcenschonende, unverzichtbare Grundlage zeitgemäßer Ernährung.

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  • Sabrina: Schön, dass du bei der Bilanz dabei bist! Mit Spirulina und Algen zu experimentieren,...
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