Hilfen und Steuern bei Übergewicht

Wenn es in unseren Leitmedien um Übergewicht oder Adipositas geht, erwarte ich inzwischen eigentlich nichts Gutes. Das Problem, das allenthalben verniedlicht wird, wird relativ dazu übergroß dargestellt, es folgt ein bisschen Ursachenforschung, dabei wird gern den vom trägen Lebensstil Befallenen die Mit- und Eigensschuld zugesprochen – und ein bissl was an Lösungswege-Vorschlägen haben die Autor*innen viel-leicht auch anzubieten, aber nichts fundamental wirksames.

So ging es bei der Süddeutschen kürzlich um ein „dickes Problem“, zu dem sich Dietrich Garlichs, der von 2010 bis 2017 Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft war, geäußert hat.

Von dieser DDG hatte es 2011 ein Papier gegeben, in dem der Abbau von Übergewicht als essentiell im Kampf gegen Diabetes verstanden wurde, wieder mit der Betonung des massiven Problems für die Gesellschaft und des Gesundheitssystems, das an seine monetären Grenzen kommt, und, wo die Gefahr am größten, ist die Rettung am Nötigsten:
Zum „Wie“ beim Übergewicht-Reduzieren kam allerdings rein Nichts, und so schrieb ich brav meinen Artikel, mit Hinweisen auf die eine oder andere Ursache, mit dem einen oder anderen Lösungsweg.

Mein Hinweis auf meine Ideen, den ich an die DDG schickte, blieb ohne Echo – sich mit einem unabhängigen, ohne institutionelle Einbindung gefundenen Konzept auseinanderzusetzen stellte möglicherweise für die etablierte Gesellschaft keine lockende Herausforderung, sondern mehr eine Zumtung dar, auf die man nicht, also negativ/narzisstisch reagierte.

Im SZ-Artikel rügt Garlichs nun die Politik, die keine Zügel in die Hand nimmt, und der „individualistische Ansatz“ aufklärender oder schulender Maßnahmen – der sei ja, wenn überhaupt, nur kurzzeitig wirksam. Das ist ein Ressentiment-behaftetes Argument, das nur dazu führt, die Fehler der üblichen Kampagnen nicht zu korrigieren, also das Kind mit dem Bad auszuschütten.

Aber schon die Überschrift hatte noch Hoffnung gemacht:

Vier Hilfen gegen Übergewicht

Dabei ging es um gestaffelte Mehrwertsteuersätze bei Lebensmitteln, das Verbot von Süßwarenwerbung, die auf Kinder zielt, verbindliche Standards für die Schulverpflegung und moderaten Kita- und Schulsport, täglich.

Das sind löbliche Ziele, die sicherlich theoretisch erreichbar sind, die die Politik nur noch aus der Schublade holen muss, denn bekannt sind sie ja – eine „Plattform Ernährung und Bewegung“, eine Aktion „5 (Portionen Obst und Gemüse) am Tag“ und Vieles mehr gehört schon lange zum Propagandaarsenal der Regierenden.

Dass die „vier Hilfen“ leicht zu fordern sind, aber deshalb nicht vom Himmel fallen werden, ist auch klar. Soll als Standard die Ablehnung von Fischstäbchen und „Chicken-Nuggests“ festgeschrieben werden, eine Obergrenze für Pizza eingeführt und auch ein allgemeines gemeinsames Frühstück (allzu viele Kids gehen auch „ungefrühstückt“ aus dem Haus) vorgesehen werden?
Soll eine Diätassistentin, ein Sternekoch oder ein Elternausschuss über den Speiseplan entscheiden? Und was ist, wenn weder Eltern noch Lehrer „Bio“ für nötig halten?
Oder sollen die Kids ganz „antiautoritär“ selbst entscheiden? Wer manipuliert hier wen?

Wie oft und wie viele Würstchen stehen den Kinds zu? Mit welchen Ernährungs-Paktiker*innen wäre das zu klären? Gibt es einen Anspruch auf Ketchup zu den Pommes, und muss die Würzsauce von den Kids hausgemacht sein? Dürfen oder müssen die im Schulgarten Tomaten ziehen? Gibt es neben Bewegungsschulung und musikalischer Grundbildung auch Ponyreiten und Eislauf, wie wird die Unterdrückung des Bewegungstriebs gehandhabt, ist es statthaft, als Lebensmittelzubereitung das Belegen einer Torte mit bunten Smarties zu veranstalten?

Für den Fortbestand der Gesellschaft ist es vielleicht sinnvoll, wenn Viele an den Nachwuchs denken. Aber auch die, die sich kümmern müssen, wollen bedacht sein.

Mir scheint, Garlich hat vor lauter Sorge um die Kinder seine erwachsene Klientel vergessen – und/oder ihm fehlt die Lösung. Hier ist nicht mehr die primäre Prävention gefordert, sondern bekanntlich die sekundäre, mit der Erschwernis, dass die Genussdisziplin eine schlecht ausgebildete, also noch zu Erlernende ist.

Wenn der Ansatz von Maßnahmen, die dem Geist der Aufklärung verbunden sind, nicht greift: Was genau läuft da schief? Sicher, man kann das als „individualistisch“ abtun – machen wir mal die Probe aufs Exempel:

spinat-mozarella-pizza

„Donnerstag ist Pizza-Tag“

Pizza-Öl

Da wird in einer Fernehsendung „Die Höhle des Löwen“ ein „Pizza-Öl“ in zwei Geschmacksrichtungen vorgestellt, das nach dem Willen der ‚Macher ähnlich wie die Portionspackungen Zitronensaft zum Tee stets und immer und überall, wo es Pizza gibt, bereitgehalten wird.

Diesen Blödsinn als überflüssig und schädlich zu bezeichnen, kommt scheinbar niemandem in den Sinn. Eine gelbliche Presse berichtet gern von der „erfolgreichen Innovation“, mithin der Option für Jedermann, kreativ, erfolgreich und reich zu werden.

Ohne entsprechendes Netzwerk macht es auch keinen Spass, auf den Blödsinn als solchen hintzuweisen, man fühlte sich dabei recht einsam, gewissermaßen alleine mit einem „individualistischen Ansatz“.

Zu sagen: „Diese Gesellschaft läuft aus dem Ruder“ – wenn es unsinnigem Konsum gegenüber kein Nein, keinen Halt mehr gibt, niemand mehr sagt: „Manches brauchen wir einfach nicht, Du könntest aber Deine überschüssige Energie für sinnvolle Ziele einsetzen“ ist halt schon fast ein Sakrileg, könnte aber in einer fitten Gruppe effektiv werden.

Wenn die Ernährung der Bevölkerung in der Regie der Lebensmittelindustrie faktisch dazu führt, dass eine Mahlzeit schon (gut) den halben Tages-Kalorienbedarf deckt, dann noch, auch mit aromatisiertem Rapsöl „verfeinert“, immer noch kaum zur Versorgung mit Ballaststoffen, Vitaminen und ähnlich Verzichtbarem beiträgt – wie hoch soll dann die Sonder-Steuer fürs Fett werden?

  • Statt an der Steuer-Schraube das Gewinde zu überdrehen, könnten wir es auch mit einem Vorschlag von Michael Pollan versuchen: Es gibt Lebensmittelmarken, die nur für frisches (auch regionales?) Obst und Gemüse eingelöst werden können, im Wert von drei Euro am Tag, und zwar für alle, für Kinder und Erwachsene!
    Am Geld soll es nicht scheitern: Die Finanzierung erfolgt über leichte Umschichtungen innerhalb der Agrarsubventionen, das Programm ist gleichzeitig ein Konjunkturmotor, der auch Landschaftspflege betreibt (z.B. Baumschnitt)…
  • Die „food-stamps“ sind natürlich (digital, in der Art einer Bankkarte?) personalisiert, und wer sie nicht verfallen lassen will, wird sie einlösen, und vielleicht sogar glücklich damit.

Im Endeffekt geht es um „unendlich viele“ Hilfen gegens Übergewicht, weil die Probleme so vielfältig sind.

Dabei gibt es zentrale und weniger zentrale Forderungen und Ansätze; besonders zentral ist die Zusammenarbeit der Betroffenen und Interessierten in Selbsthilfe und professioneller Hilfe unter klar erkennbaren Bedingungen. Verächtliches Wegschauen und Ignoranz ist kontraproduktiv und macht krank; das Zauberwort unter dem Oberbegriff „Netzwerk“ lautet Kooperation.

Wenn das Zauberwort schon genannt ist, sei gleich noch ein Zaubermittel vorgestellt: Verständnis mit Verstand, also Empathie.

Jemandem gegenüber, der das für faulen Zauber hält, darf man aber nicht viel erwarten.

 

 

 

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