Vom Fressen als konfliktfreiem Lustgewinn
Geschrieben am 19. Juni 2010 von KPBaumgardt
Vielleicht brauchte es gar keine drastischen Worte, um darzustellen, dass “Gesund Leben” und gewisse “attraktive” Nahrungsmittel- und Getränkeangebote schon einmal im Gegensatz zueinander stehen können.
Es fragt sich nur, ob “sich gesund verhalten” und “Spaß am Essen” immer rational gegeneinander abgewogen werden können, so dass die Waage regelmäßig in Richtung Gesundheit ausschlägt. Aus der Expertensicht:
"Menschen hören nicht auf Gesundheitsexperten und legen schlechte Ernährungsgewohnheiten so schwer ab, weil sie beides wollen: Party und Waschbrettbauch" (Christoph Klotter, Ernährungspsychologe von der Hochschule Fulda) [Quelle]
Wobei es auch sein kann, dass der Wunsch nach dem Waschbrettbauch in Wirklichkeit längst zu den Akten gelegt worden ist, wo er, weil bei bei entsprechender Konstitution auch nicht erreichbar, auch hingehört. Nicht-Experten leben nach Klotters Ansicht nach der Devise:
"es macht mir Spaß, ich habe jetzt Freude am Leben, ich möchte endlich über die Stränge schlagen. Das ist ein anderer Wert, der immer mit der Gesundheit konkurriert."
Gesundheitliche Risiken würden auch im Sport, Beispiel: Fußball, eingegangen, und
wie fühlt sich ein stark übergewichtiger Mensch, wenn ihm der "Kampf gegen sein Übergewicht" angesagt wird?
"Die Kriegsmetapher schafft Gegner und fordert die Revolte heraus", so Klotter. Außerdem nehmen die Menschen gesunde Ernährung häufig als Triebunterdrückung wahr, was den Widerstand weiter verstärkt.
Das sind Aussagen, wie sie nur von Experten unter Experten getroffen werden können. Wir sollten hier nicht vergessen, dass es auch Experten gibt, die “Almased” (Lustfeindlichkeit pur) als gesunden Einstieg in eine Ernährungsumstellung anpreisen, und dass viele Experten ihren Lustgewinn aus ganz anderen Quellen ziehen können, als die Übergewichtigen: Sich für moralisch überlegen zu halten, ist schon etwas, das das Selbstwertgefühl mächtig aufpumpt.
"Nach den Protestbewegungen in den Bereichen Sexualität und Politik im vergangenen Jahrhundert, ist Essen und Trinken inzwischen das letzte Feld, aus dem man ausbrechen kann." Wenn Ernährungsberater erfolgreich sein wollen, müssten sie daher auf den moralischen Zeigefinger verzichten und stattdessen die Menschen begleiten und unterstützen.
Was war das? “Ausbrechen-dürfen aus dem Feld von Essen und Trinken”, aber eingepfercht, oder abstinent bei Sexualität und Politik?
Der Experte attestiert seinen Klienten, dass sie das riskante, ungesunde Verhalten übertreiben, und zwar im Bereich Essen und Trinken. Derweil macht er Party im Bereich Sport und Beratung? Wie erfolgreich sind Ernährungsberater überhaupt, wenn es ums nachhaltige abnehmen geht?
”Die Menschen begleiten und unterstützen” mag ja besser sein als ermahnen, kritisieren und Verzicht fordern. Und eigentlich geht es nicht um den Kampf gegen den Klienten und sein Übergewicht, sondern um einen Kampf um etwas. Sicher auch um Abstinenz, zum Beispiel bei Fressanfällen. Positiv formuliert: Um den Kampf um geordnete Verhältnisse, um positive Fähigkeiten.
Die Bewährungsprobe für die Beraterin, für den Berater kommt ja erst dann, wenn sie/er gebraucht wird. Sehr wahrscheinlich, dass dann ihr/sein Vertrag schon abgelaufen ist. Gut möglich, dass sie/er sich besser zusätzlich um die Hilfe zur Selbsthilfe kümmert. Dass bei der Selbsthilfe noch vieles im Argen liegt, hätte ihr/ihm schon längst auffallen müssen; dort könnte sie/er viel von ihrem/seinem Expertenwissen und Organisationstalent einbringen.
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