4,4 % fettleibige Erstklässler

Bei dieser Meldung der Frankfurter Rundschau, die es heute in den Internet-Nachtrichten-Überblick geschafft hatte, sträuben sich die Haare:

… die Quote der Kinder, die schon in frühen Jahren zu viele Kilos auf die Waage bringen, bleibt seit nunmehr acht Jahren nahezu konstant: 10,6 Prozent der Schulanfänger in Hessen haben Übergewicht. 4,4 Prozent von ihnen sind sogar fettleibig.

Jedes sechste Kind mit Migrationshintergrund ist zu schwer. Das ist das am Donnerstag von Hessens Familienministerium veröffentlichte Ergebnis der Schuleingangsuntersuchungen 2009. Sein Fazit: „Diese Daten sind alarmierend und zeigen Handlungsbedarf.“

Eigentlich würde man sich ja fragen, was der Satz “Das Familienministerium sieht Handlungsbedarf” bedeutet:

  1. Wer genau sieht Handlungsbedarf
  2. Bleibt es beim Hinschauen, oder folgen auch Taten, und wenn ja,
  3. Welche?

Das Hinschauen wäre ja gegenüber dem Wegschauen schon ein Fortschritt.
Immerhin haben die FR-Recherchen ergeben, dass eine ASB-Kindertagesstätte in Offenbach jetzt ein gemeinsames Frühstück anbietet.

Und Josef Geisz, Vorsitzender des Berufsverbands der hessischen Kinderärzte aus Wetzlar

vermisst eine Anlaufstelle um die Ecke, wo die jungen Patienten samt Eltern von Sporttrainern und Ernährungsexperten zu gesünderem Verhalten angeleitet werden. „Es gibt tausend Programme, bei denen einige auch gut verdienen. Aber es gibt keine Systematik.“ Der ganzheitliche wohnortnahe Ansatz fehle: Eine Alleinerziehende könne ja nicht ständig mit ihrem Kind weite Wege fahren. Und: „Solange die Mutter nicht kochen kann, braucht man gar nicht anzufangen.“

Auch das ist wohl nicht schlecht beobachtet, aber: Mit einer Anlaufstelle ist es wohl nicht getan, und wer soll Muttern (oder auch den Vätern, wie in Leserbriefen ergänzt wurde) das Kochen beibringen?? Kinderärzte in die Lehrküche??

Weiterhin zitiert: Hartmut König, Ernährungswissenschaftler bei der Verbraucherzentrale.

„Über stark befahrene Straßen lässt man die Kinder nicht gerne allein gehen.“ Also fährt das Mama-Taxi – wieder eine Bewegungs-Chance vertan.

Was ja auch als Hinweis auf irrationale Ängste der Mütter und einen Trend zur Überbehütung aufgefasst werden kann, oder sollte?

Außerdem wurde noch über die Nicht-Einführung der Lebensmittelampel gequengelt, nicht aber wegen der Nichteinführung des Schulobst- und Schulgemüseprogramms gemosert, und:

Zum mangelhaften Wissen um gesunde Ernährung trägt auch die Lebensmittelindustrie mit falschen Versprechungen bei: Kindermilchschnitte, Süßgetränke – „das nimmt zum Teil suchtmäßige Züge an“, sagt König. Die Politik bleibe tatenlos: In vielen anderen europäischen Ländern sei Quengelware an der Kasse verboten.

Was mir noch aufgefallen ist: Im Zeitalter der EDV hat die Erstellung und Publizierung der doch nicht allzu komplizierten kleinen Statistik ein ganzes Jahr gebraucht. Logische Folgerung: So schnell wird sich bestimmt nichts ändern.

Oder?

Man kann übrigens auch etwas dafür tun, dass die Kinder “mobilisiert” werden. Beispielsweise “sozialpädagogische Schularbeitenhilfe” kann die Kids zuhause “abholen”, man kann mit ihnen spielen = arbeiten.

Dafür braucht es keine komplizierten Programme, und das “Personal” dafür muss man bloß noch einstellen. Wenn der Handlungsbedarf gegeben ist.
Programme entwickeln und das Personal schulen kann man natürlich auch.

Vergleiche:

Kid`s Skills oder “Ich schaff’s” – Motivation für Motivatoren, 15 Schritte zur Verhaltensänderung bei Kindern und Jugendlichen

Pressemitteilung:

„Adipositas durch gesunde Ernährung und mehr Bewegung zu Leibe rücken“

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6 Kommentare zu “4,4 % fettleibige Erstklässler”

  1. „Solange die Mutter nicht kochen kann, braucht man gar nicht anzufangen“ ist ja noch hoffnungsvoll ausgedrückt. Man müsste eher sagen, „Solange die Mutter nicht kochen w i l l, braucht man gar nicht anzufangen“. Da liegt das Problem, es will ja keiner und hat auch keiner Lust. Da helfen auch keine „Erziehungsprogramme“. Die Bereitschaft, über das Thema nachzudenken, ist zwar da, aber in die Tat umzusetzen? Viel diskutiert, anschließend zu McD…

  2. Vielleicht hast Du recht: Mutti will auch nicht, und Papi kann sie nicht motivieren, schaut in die Röhre. Anstatt dass sie was gemeinsam organisieren.

    Den sogenannten sozialpädagogischen Schularbeitenhelfer hatte ich mal als Student gemacht. Schwimmbad, kochen mit Kindern – die waren zwar schwierig. aber man konnte mit ihnen arbeiten. (Einzelfallhilfe)

    Programme speziell für übergewichtige Kinder – da gibt es noch nicht so viele Konzepte, müssten auch kommunal organisiert werden, und wegen der kulturellen Differenzen, es gibt ja auch Misstrauen und Vorurteile auf beiden Seiten, braucht es „geschulte“ Mitarbeiter.

  3. Was sind denn das für Programme? „Wie esse ich gesund“? Die „geschulten“ Mitarbeiter bräuchten ja kaum ernährungsphysiologisches Wissen, sondern komplexes pädagogisches und sozialtherapeutisches Talent. Selbst damit kann man kaum elementare Erziehungsmängel ausbügeln …

  4. Na, da hast Du, glaub ich, den Nagel auf den Kopf getroffen.
    Gerade auf das „kaum“ kommt es dann an.
    Und man muss sich von vorgefertigten Erwartungen lösen; wenn die Kids es packen, die Schule zu durchlaufen, ist schon viel gewonnen.
    Lesen, schreiben, rechnen – manchmal auch nur 10 Minuten von 90…

    Drum kommt es auch darauf an, nicht zu spät in diese Arbeit einzusteigen; mit einem Jungen hab‘ ich das Lesen mit einem Märchenbuch geübt; das klappt bei Jugendlichen natürlich nicht mehr.
    Und inhaltlich vermitteln die Märchen gleich eine ganze Menge unbewusstes Wissen, Werte usw.. .
    Ansonsten: Wenn Jungs vaterlos aufwachsen, gieren sie nach einer männlichen Bezugsperson, das ist ein ganz großes Bedürfnis. Und kann zu einer recht ambivalenten Beziehung führen.
    „Geschulte Mitarbeiter“ hast Du zu recht in Anführungszeichen gesetzt: Überraschungen gibt es da immer wieder.
    Und ein Rahmen für einen qualifizierten Austausch der „Mitarbeiter“?
    Sollte auch angeboten werden, möglichst nicht unter dem Begriff „Supervision“. Aber mir fällt im Moment nichts besseres ein.

  5. Finde das Thema Ernährung generell vernachlässigt in unserem Bildungssystem, mal abgesehen von den Mängeln im Unterrichtsstoff…
    Was aber auch zu den „dicken Kindern“ beiträgt ist meiner Meinung nach der fehlende Sportunterricht. In diesem Bereich wird immer als erstes gekürzt, obwohl es eh schon die „Generation 3.0“ die heranwächst und die meiste Zeit drinnen vor einem Bildschirm verbringt.

  6. Bei „Bildungssystem“ fällt mir ein: Den Unterschied zwischen Dickdarm und Dünndarm sollte man eigentlich wissen.
    Und Ernährungslehre bitte nicht nur theoretisch!

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