Geschrieben am 20. Juni 2018 von KPBaumgardt
Übrigens: Die Zeiten ändern sich, es bleibt längst nicht alles beim Alten, sondern die Verhältnisse ändern sich, und wir sollten uns kräftig dabei einmischen, denn Nur-Zuschauer gibt es in diesem verschachtelten System nicht, und auch die „Zuschauer“ sind von (gesellschaftlichen) Veränderungen betroffen. Oder auch vom Klimawandel, den heute fast niemand mehr leugnet – aber „Alle“ tun so, als wären andere Probleme das Wichtigste…
Da kämpft einer um sein Recht, Andere an „unseren Grenzen“ zurückzuweisen, nennt „Skandal“, was er selbst hat schleifen lassen, riskiert die Balance einer mühselig zusammengestoppelten Regierung und lässt weite Felder der Politik unbeackert – wen interessieren die Zustände auf Deutscher Scholle denn überhaupt?
Einen Tanz um den „einen Skandal“ machen, und alles andere unter den Teppich kehren – glaubwürdig geht anders. Wenn Kindergeld bei den Armen in der Gesellschaft den allgemeinen Bedarf schmälert, abgezogen wird: Das gilt nach dem „Södermistisch-Seehofener Weltbild“ nicht als Skandal?
Wo im Mittelalter der Mangel herrschte, gibt es heute die Überproduktion und „vernichtete Lebensmittel“:
„Unsere Gesellschaft muss … wieder lernen, dass auch krumme Karotten und zu kleine Kartoffeln vom Geschmack her oft sogar besser sind, als standardisiertes Gemüse.“
Das heißt ja nur, dass die BürgerInnen ihrer Umwelt, der Natur, längst entfremdet sind – und ihren Mitmenschen und sich selbst.
„Vor allem aber dürfen wir in der Diskussion über die Lebensmittelverschwendung die Produktion nicht länger ausklammern. Beim Anbau fängt die Verschwendung doch schon an. Das ganze System ist darauf angelegt: Damit ein Landwirt seine Verträge einhalten kann, muss er bislang eine viel höhere Produktion planen, denn das Risiko von schlechtem Wetter und anderen Umwelteinflüssen, die die Erträge schmälern, liegt bislang allein bei ihm.“
Einem Sauerergemüse-Hersteller wird die Absichtserklärung eines Landwirts, im Spätsommer eine definierte Menge Gürkchen zu liefern, nicht sehr viel nutzen – natürlich will der einen verbindlichen Liefervertrag – was der Bauer unterschreibt, ist wiederum dessen Sache. Offenbar funktioniert der Markt in dieser Hinsicht nicht, wie er funktionieren müsste, verschleppen die „politischen Kreise“ hier die erforderliche Regelung seit Jahrzehnten.
Lebensmittel sollen möglichst „vor Ort“ produziert werden, aber in Vittel (Frankreich) übertreibt ein Lebensmittelkonzern mit dem Abpumpen von Trinkwasser, das millionenfach in Plastikflaschen – auch hierzulande – verkauft wird.
Foodwatch übt sich in Forderungen nach Zuckersteuer auf Limonaden, ist aber gegenüber der Möglichkeit, aus Brotresten zuckerarme Limo lokal zu produzieren, blind.
Andererseits spielt auch „der Weltmarkt“ in die bäuerliche Kalkulation hinein:
5,90 kostet eine 100ml-Flasche Bio-Leinöl, der Preis ist laut Rabeder [Öko-Bauer aus dem Mühlviertel] ein Kompromiss aus den Rohstoffkosten und dem Marktumfeld. “Der Konsument ist durchaus bereit, etwas mehr zu zahlen”, sagt Rabeder. “Abgehoben darf der Preis nicht sein, aber wer es haben will, kann sich das leisten. Wenn ich mir einfach nur Kalorien zuführen will, wird es einen billigeren Weg geben. Aber wir machen hier ein Lebensmittel und das kann ich nicht nur in Kalorien und anderen Kennzahlen messen.“
Es kann also auch ein „Überleben in der Nische“ geben – vorausgesetzt, es gibt genug Kundschaft, die ihr Schneckenhaus verlässt. Wenn hier auch Senf nach „streng geheimer Rezeptur“ angeboten wird, halte ich das für übertrieben, denn leckeren Senf selbst zu machen, ist keine Kunst.
Dass die lokale Senf-Herstellung recht nachhaltig ist, gilt vor allem, wenn die Saat auch lokal angebaut wird – das ist gut dür die „Diversitivität“ und, wenn der Senf blüht, eine Bienenweide, wie auch der unerschrockene Liebstöckel, der überall die immer noch gebräuchliche, nicht allzu biologische Fertig-Flaschenwürze erstzen könnte:
„Gemüse retten“ funktioniert auch, indem man es als Suppe einkocht. In Büchsen waren Fertigsuppen in Amerika der Renner, kombiniert mit Sandwiches. Man könnte auch sagen, die Lebensmittelindustrie hat die privaten Haushalte ihrer Autonomie bei der Lebensmittelzubereitung beraubt:
Sollen doch die vereinigten Diätwissenschaftler der ganzen Welt beurteilen, ob solche Mahlzeiten das Beste sind, was man auf den Tisch bringen kann, oder ob hier der Weg zu größeren Schrecknissen geöffnet wird – ich sehe hier den Beginn der „Weißmehlbäckerei„, somit des kulinarischen Zerfalls.
Die einleitende Anmerkung „Die Zeiten ändern sich“ wird in der Form
„Die Zeiten ändern sich, und wir uns mit ihnen“ seit dem Mittelalter als Sprichwort gepflegt. Dieser Spruch
„… geht auf den Vers tempora labuntur tacitisque senescimus annis… („Die Zeiten gleiten dahin und in stillen Jahren altern wir…“) aus Ovids Fasti zurück.[1]“
Die mittelalterliche „Überarbeitung des Dichter-Worts“ ist schon merkwürdig – man könnte das so interpretieren, als solle gesagt werden, dass neue Zeiten neue Lösungen verlangen und eine Neu- und Wiederinterpretation der kulturellen Erfahrung – aber eine „deftige“ Übersetzung des OVID-Worts ist viel lakonischer:
„Eilig entschwindet die Zeit, und langsam beschleicht uns das Alter.“
Das ist, wie es ist, und im Fußball ist es so:
„Wir haben zu viele Ballverluste, nützen nicht die Breite des Raumes. Wir spielen in die Füße, statt in die Tiefe.“
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