Die Geleimten sind WIR – Hochstapler-Coaching mit Relotius?
Geschrieben am 24. Dezember 2018 von KPBaumgardt
„Diäten gibt es wie Sand am Meer“, „Blogs gibt es in Massen – unüberschaubar“, „Journalisten – ach, wie Sterne am Himmel“. Wenn das auch mit Absicht übertrieben war, scheint es einen Zusammenhang mit dem Massenphänomen und dem „Fall Relotius“ zu geben.
Beim Geschichten erfindenden Journalisten Relotius spricht Elsa Koester von Hollywoodjournalismus und Belletristik:
Auf die Klickzahlen kommt es an – und plötzlich steht die Geschichte von der Mittelschicht-Amerikanerin, die herumreist und sich die Ausführung von Todesstrafen ansieht, im „Spiegel“, obwohl dort die Fakten besonders gründlich geprüft werden – doch was soll man auch bei einer Horrorgeschichte, die subtil unter die Haut geht, überprüfen, wenn sie an Informationsgehalt eine leere Menge enthält und Gänsehaut erzeugt?
Es geht, vielleicht, darum, den Lesern ihre Vorurteile zu bestätigen; die könnten so lauten:
„Die Welt ist schlecht, die Menschen, „der Amerikaner“ besonders, da darf man nicht die Augen verschließen. Das ist Tatsache, gründlich recherchiert und mit Foto belegt, und die Spesenabrechnung könnte die Recherche belegen.“
Ein „Spiegelgate„, der schlimmstmögliche „Unfall“ im Blatt ist die Enthüllung, dass die Geschichten des Reporters frisiert waren, nicht, die Massen-Vernunft der Ex-Leser erst würde das „Aus“ bedeuten.
Die können immer einer Hochstapelei auf den Leim gehen, zumal die Jurys und Redaktionen die Stories quasi als echt zertifiziert haben. Jetzt will uns der Medienbetrieb am Rückblick aufs Geschichtenerfinden teilhaben lassen, wir dürfen staunend uns belehren lassen, dass Relotius nicht einfach betrogen hat, sondern alle, die seine Storys hören oder veröffentlichen wollten, mitverantwortlich waren: Schon wieder eine Enthüllung!
„Die Macht des geschriebenen Wortes“ ist allerdings ein eigenes, merkwürdiges, kulturell bedeutsames Thema.
Ständige, schier unaufhörliche Wiederholung gehört zu den Erfolgsbedingungen der „Progpaganda“ – wer das nicht mitmacht, oder zu sehr in die Einzelheiten geht, könnte untergehen.
Claas Relotius ist mit Skandal jedenfalls bekannter als ohne, ist vorläufig selbst „Stoff für Stories“, kann Hochstapler coachen oder vielleicht eine Karriere als Kabarettist neu starten, sogar mit der Option, schreiben zu lassen.
Gemogelt wird ja immer in den Medien, zumal, wenn es ums Abnehmen geht, verblassen Münchhausens „wahre Geschichten“ gegenüber den Erfolgsgeschichten, die Manche verbreiten – und die wie jede Mode gerne von den Medien, hier: Der TAZ aufgegriffen werden: Die Mogelei ist verbreiteter, als ein Fall beweisen kann.
Die Kommentare gingen in jede Richtung, so findet sich auch ein Hinweis auf persönliche Profilierungssucht, oder Geltungssucht und Narzissmus.
In den „Social Media“ kennen wir das Klick-Zählen, das Empfinden von „Erfolg“, wenn man gelesen wird – das Problem der großen Konkurrenz hat auch der professionelle, zumal „freie“ Journalismus – zu viele Abiturienten haben aus der Sinnkrise ein Konzept „Ich werde jetzt Journalist“ als Ausweg gewählt, denn beispielsweise die Steinkohle bietet auch keine Arbeit mehr.
Das Gespenst namens „Fachkräftemangel“ hat im richtigen Leben keine Substanz, in der Generation Praktikum sind Kränkungen vorprogrammiert. Das ist demokratiezersetzend, insofern, als die Mitbürger in ihrem (Selbst-)Wert herabgesetzt werden. „Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit“ greift um sich…
Das mediale Überangebot ist vielleicht gar keines; es müsste aber auch das Personal, und der Nachwuchs in Würde arbeiten können: Angstfrei. Auch ohne Millionenpublikum.
Jobs gibt es aktuell vielleicht noch in der PR (von Ausbeutung oder Selbstausbeutung ist nicht mehr die Rede), da ist wohl Storytelling angesagt, oder „Infotainment“.
Das haben wir so vielfältig wie bei Lebensmitteln den Zuckerzusatz: Leichte (süße), erfundene Kost. „Edutainment“ ist schwieriger, zumal die Unterhaltungsindustrie das Publikum an- und aussaugt.
Während nun der Spiegel sein eigenes Versagen zur Mega-Story mit Einzelfallcharakter verklären will, geht der Kampf um das Label „seriöser Journalismus“ und gegen das Image als Lügenpresse in die nächste Runde. Ein Kompromiss könnte lauten: „Nun, dann ist es eine Märchenpresse„.
Es könnte auch auch eine Meinungsstanze sein – oder es geht dem Journalisten einfach nur darum, das Papier, das nicht weiß bleiben darf, zu bedrucken? Bei Erich Kästner, im „Fabian“, erfindet jedenfalls für diesen Zweck ein Journalist einen Aufstand in Kalkutta, mit vielen Toten…
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