„Splaining of all kinds“ – Wir und die Erklärbären
Geschrieben am 28. Februar 2018 von KPBaumgardt
Der Ausdruck „Splaining“ ist eine Verballhornung von „explaining“, einem „von oben herab“-Erklären, das auftritt, wenn Männer Frauen erklären wollen, wie Frauen ticken (das heißt dann „mensplaining“), oder Dünne Dicken erklären, wie ein schlankes Leben funktioniert (thinsplaining) und wenn Dicke Dünnen erklären, was ihnen fehlt (thicksplaining ). Fähige verständigen sich mit weniger Fähigen, wie Fähigkeit „geht“, oder Weiße halten Schwazen einen White-splaining Vortrag, über beispielsweise Rassismus, denn, warum dunkelhäutige Menschen selbst schuld sind, sollten sie diskrimiert werden:
Wie sollten sie auch von selbst darauf kommen??
Häufig werden bei diesen Belehrungen Leerformeln wie „Du musst doch nur…“ oder vor allem „Du musst nur wollen“ verwendet.
„Ja, wenn du so willensschwach bist, ist dir halt nicht zu helfen“, genauer: „kann ich dir auch nicht helfen“ ist relativ beliebt, und mit geringem Aufwand sind Fragen der moralischen Integrität, des Fleißes auf der einen, der Faulheit auf der anderen Seite beantwortet, denn, ist die verbale Hemmung einmal beseitigt, fließen die Vorurteile wie von selbst.
Rather than advocating against state-sanctioned violence toward people of color, ’splainers focus on telling black and brown people how to avoid confrontation with the police.
Tafeln
In Essen wurden die ehrenamtlichen Mitarbeiter der TAFEL einem Gewitter der erklärenden Belehrung ausgesetzt, als sie die Frechheit hatten, gewisse Disbalancen des Kunden-Pools vor Ort und pragmatisch zu regulieren:
Auch die Kanzlerin, die „jahrzentelang“ Gelegenheit hatte, Armut abzuschaffen, äußerte sich humanitär – dass die Tafel vor Ort subjektiv eine Notbremsung mit vorübergehender Wirkung hingelegt haben muss, wurde von den moralischen Besseressern nicht berücksichtigt, und „ganz besondere Gutmenschen“ sprühten ihren Faschismus-Vorwurf auf die Lieferwagen der Essensverteiler…
Ein Radio-Feature (HR2, der Tag: „Fressen und Moral: Wer an die Tafel darf“ – Podcast) zum Deutschen Almosenwesen ließ etliche Hochschullehrer, aber keine einzige Betroffene, keinen einzigen Betroffenen zu Worte kommen; man interviewt die ausgewiesenen Experten. eine Tafel-Mitarbeiterin äußerte, „Dankbarkeit“ zu empfinden, sei ihre eigentliche Motivation. Wenn das sich komplementär zur Klienten-Motivation verhält – „gut“.
Frau Barleys Empörung hat sich offenbar beruhigt – dabei gäbe es noch so viele Ausgrenzungen…
Aufklärung – die Politik verklärt, die Politik zerklärt…
Die Politik ist ein weites Feld fürs ver-splaining – doof, wenn die, die anderen gerne Knüppel zwischen die Beine werfen, wegen messinggefertigten „Gedenksteinen“ ins Straucheln kommen, sich ungeschickt über Stolpersteine beschweren, wenn also diejenigen von „Zwangs-Gedenken“ sprechen, denen von jenen, die sich für progressiver halten, im Allgemeinen Zwangsgedanken unterstellt werden.
Wenn die „Bild-Zeitung“ sich von der Satire-Zeitschrift „Titanic“ (schöner untergehen?) foppen lässt und in zentimeterdicker Schrift Juso-Kevins mögliche(?) Allianz mit russischen Hackern anspricht, erklärt uns Prof. Volker Lilienthal, wie Journalismus zu gestalten sei; wir bräuchten
„… verantwortlichen Journalismus, der die Stimme der Vernunft erhebt, der Tatsachen von Lügen scheidet und der bei aller Freiheit und Notwendigkeit der Kritik an politischem Handeln das gemeinsame Interesse aller Bürger nicht aus dem Auge verliert: in … einer Gesellschaft [zu leben] …, in der alle zusammen klüger, nicht dümmer werden wollen. Man nennt es auch: Aufklärung.“
„Aufklärung“ von gewissen Medien zu erhoffen, ist nur ein frommer Wunsch.
Wenn selbsternannte Diät-Gurus und -Päpste ihre dogmatischen „Wahrheiten und Weisheiten“ verbreiten, Kranke zu fragwürdigen Entscheidungen über ihre Lebensführung verführen wie der Rattenfänger von Hameln, und diese Fehleinschätzungen von der gelben Presse erst noch gepusht werden, sind diese Falschinformationen jedoch länger haltbar als eine schmierige Kampagne gegen den Juso-Chef.
Bei Spiegel-online nennt man das Phänomen, das mit „fake-news“ nicht mehr ausreichend bezeichnet sei, seit der Begriff von der AFD gekapert wurde, „Desinformationshölle„:
Beatrix von Storch, die Chefsatirikerin der AfD und ein großer Fan des Begriffs „Fake News“, hat bei Twitter den Klimawandel mal wieder zur Fiktion erklärt.
Das muss eine Hölle sein, die auch mit Wunschdenken zusammenhängen dürfte. Mit Satire hat das auch zu tun, die meint heute, alles zu dürfen. Zum Nachdenken hatte es vorab ein ein Zitat gegeben, das hiermit nachgetragen wird:
„Lügen erscheinen dem Verstand häufig viel einleuchtender und anziehender als die Wahrheit, weil der Lügner den großen Vorteil hat, im Voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht.“
Hanna Arendt, „Die Lüge in der Politik“ (1972)
Fake-, Fad-, Pseudodiäten & schwache Informationen
Ob die „Bild der Frau“ bei Rezeptvorschlägen oder Diättipps realistisch bleibt, interessiert die „kritische Presse“ hingegen nicht. Schließlich muss man ja selbst mindest einmal im Jahr über die gerade geltende Mode-Diät berichten oder low-carb gegen low-fat antreten lassen, manchmal in mehrseitigen Artikeln.
Natürlich muss man versuchen, alle Faktoren in den Blick zu bekommen, alle Aspekte eines Problems zu sehen und zu verstehen. „Das Einzelne“ ist also wichtig…
Aktuell ist man beim Spiegel auf dem Stand, dass beim Abnehmen erfolgreich ist, wer sich an drei oder vier Regeln hält:
„Iss weniger Zucker, iss weniger Weißmehl, iss so viel Gemüse wie möglich.“ Besonders erfolgreich ist, wer seine Einstellung zum Essen geändert hat und jetzt mehr darauf achtet, wie sie/er isst.
Die Studie, auf die sich der Spiegel-Artikel bezieht, hatte „Fressnet“ kürzlich so zusammengefasst:
Im Kern der Sache – so deutet Gardner an – geht es sogar weniger um das “Ausschalten” von Zucker und Weißmehl, sondern um gelungene, profimäßige Rezepte für pflanzliche Nahrung, die im weitesten Sinne schonungslos lecker schmeckt – damit wäre auch jede low-carb/low-fat-Debatte erledigt.
Wir sehen: Der Spiegel hat den Bedarf an neuen Rezepten „vergessen“ – auch, dass es fermentierte, „lebendige“ Lebensmittel gibt, hält man wohl nicht für wichtig.
Konkret wird sich ohne die wirklich tauglichen Rezepte nichts verbessern. Wie kann man als „Meinungsführer“ einen Plan weiterreichen, dem eigentlich das Fundament fehlt?
Soziale Ernährungspolitik und gelenkter Konsum
Nun sind Existenzminimum (Weniger geht nicht – warum eigentlich nicht mehr als das Minimum?), Menschenwürde und Überproduktion (letzteres als Voraussetzung der o.g. Tafel-Arbeit) politische, gesundheitspolitische Themen. „Ernährung“ ist folglich ein politisches Thema, und eigentlich wäre jeder, der kauen kann, Experte – aber viele müssen sich ungut, unfrei und kraftlos fühlen, sonst wäre ein online-Programm unter dem Motto:
„you can start feeling better, freer, and more powerful“
völlig unverkäuflich.
Was will uns das sagen? Wie glaubwürdig ist das?
Oder auch:Welche kommerziellen Pseudo-Diäten-Anbieter würden je Kunden ablehnen, die „nur“ mit einem Überwichts-Wahn unterwegs sind, ohne reale Probleme zu haben – außer narzisstischen Selbstzweifeln, die sie am Gewicht anknüpfen, ?
Soll heißen: Es wird auf allen Ebenen zu viel versprochen, zu wenig auf Nebenwirkungen hingewiesen, zu denen auch die Fixierung auf ein Neben-Schlachtfeld, das viel mehr Energie vernichtet, als die Sache wert ist und die Bewältigung des eigentlichen Mangels verhindert.
Die Eckposten des Neben-Kriegsschauplatzes „Pseudo-Diät“ heißen „Wunschgewicht“, „Diät-Treue“, „Diät-Sünde“ und „Gefräßigkeit“.
Das Wunschgewicht kann bedeuten, dem Glück hinterherzulaufen oder es zu halten, erst mit „Reduktionsdiät“ ergibt sich der Wunsch nach der „Diät-Sünde“, und weil die leicht zu haben ist, hat die „Diät-Treue“ schnell das Nachsehen, aber die nächste – Diät – bietet sich an: Diesen Kreislauf kann man als „Diät-Karussel“ bezeichnen.
Unverzichtbar ist dabei der „Diät-Dompteur“, der die Raubtiere bändigt.
Zum Beispiel:
Iss Brot!
Diese Aufforderung ist schwarz auf gelb den Verkäuferinnen einer Bäckerei auf den Rücken der Uniform gedruckt: Werbung, Motivation, Verhaltensmodifikation, wohin man blickt – manchmal ist das Lesen-können eine lästige Fähigkeit, die ja normalerweise nicht pausiert.
Deshalb wird Brot auch ohne Beipackzettel und Hinweis auf Nebenwirkungen verkauft, werden die Brot-Risiken erst langsam erkannt. Die BFR, Bundesanstalt für Risikobewertung unterstützt (hierbei?) den gesundheitlichen Verbraucherschutz, nicht nur in Europa, sondern auch in Nairobi (Kenia), so eine Pressemitteilung vom 27.02.2018, wobei die hier gezeigte Bildunterschrit allerdings frei erfunden ist:
„Grüße aus Namibia! [großes Foto] Uns geht’s gut, die wissenschaftliche Risiko-Forschung zum Schutz von Mensch und Tier steckt noch in der Sondierungsphase, weitere Workshops sollen folgen – so ein Tapentenwechsel ist positiv fürs Gemüt, wenn auch die Luftfahrt mit der Emmission von Treibhausgasen einher geht – davon lassen wir uns aber nicht die Laune verderben! Mit vielen Grüßen an alle daheimgebliebenen, Euer International Livestock Research-Team“
Um beim Thema Brot zu bleiben 😉 : Man kann den Schutz von Mensch und Tier, Natur und Umwelt ja gar nicht ernst genug nehmen – und viele Risiken halte ich für unvorhersehbar. Bei Brotfruchtbäumen etwa kam es im Zusammenhang mit den Setzlingen zur Meuterei auf der Bounty, während von einer Ausweitung des Moringa-Handels eher friedliche Folgen zu erwarten wären.
Grüne Smoothies hatten sich dereinst als kurzfistige Modeerscheinung herausgestellt, auch hat niemand Moringa als Superfood etabliert.Das alles zu erklären, ist eigentlich unmöglich, wird auch nur von ausgesprochenen „Erklärbären“ oder, wie wir sie neuerdings nennen dürfen – von „Splainern“ unternommen.
Regierungserklärungen zur solidarischen Gesellschaft heißen also (abgeleitet von government, Regierung) Govsplaining und sollen wie mensplaining, White-splaining und andere Varianten für ein Ungleichgewicht, eine Inbalace der Macht sorgen, während dem („vom“) Volk die Macht ausgeht.
Damit ist hier für heute genug erklärt – weiter soll es dann mit einem Thema für Kinder gehen, nämlich dem Diät-Karussell.
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