Fernsehthema Adipositas – Essen wir uns zu Tode?

Betroffrne mit schwerer Adipositas hat ein Team mit Mikrophon und Kamera begleitet; bei VOX wurde die Sendung am 15.7.2017 ausgestrahlt – vier Stunden inklusive Werbeunterbrechungen.

Wir lernen, dass so eine Adipositas eine Sucht ist, mit der man ggf. sein Leben lang zu kämpfen hat. Es gibt Spiralen, aus denen man erst mal ausbrechen muss – Binge-Eating, anfallsartiges Essen kann die Funktion haben, Spannungen abzubauen; insofen wird in der Klinik nicht rigoros auf geregelte Mahlzeiten umgeschaltet, andererseits schon gar nicht der Gang zum Buffet erlaubt.

 

„Nie mehr dick sein“

Tetje Mierendorf, der ehemals schwergewichtige Kabarettist und Schauspieler hat aus eigenem Antrieb 70 Kilo abgenommen und sieht völlig verändert aus. Wie hat er das geschafft? Wie fühlt es sich an im neuen Körper? Und wie verhindert er den Jo-Jo-Effekt? Er ist sich sicher – wenn er weiter auf seine Ernährung achtet und ausreichend Sport macht, klappt es auch mit dem Gewicht.

Tetje kontrolliert sich, indem er alles, was er zu sich nimmt, aufschreibt, nachdem er es gewogen hat. Im Interview ist er als Schauspieler und gekonnter Selbstdarsteller souverän – mit einem Thema, das viele „traurige“ Kapitel enthält. Zum Beispiel das heimliche Essen, oder, mit Freunden im Restaurant, nur einen Salat essen (Nachdem er sich vor dem Restaurantbesuch zu Hause den Bauch vollgeschlagen hatte): „Ich weiß ja auch nicht, warum ich so viel zugenommen habe“.
Das gehört – ganz klar – zu den „klassischen Suchtformen“, das einzugestehen, fällt nicht leicht, das zu beherrschen, auch nicht.

 

Veränderungen sind die Ausnahme – doch zum Glück gibt es sie…

Wunderbare Wandlungen geschehen nicht nur an Pilgerstätten wie Lourdes, sondern auch beim Abnehmen, irgendwo: Wer jetzt aber nicht an Wunder glaubt, muss dem Sender allzu saloppes Formulieren vorwerfen.

160 Kilos abnehmen – von 300 aus – nach einer Magen-OP hat sich das Leben zum Besseren geändert bei Joachim Werner; „Die Magen-Operation hat ihm das Leben gerettet“.

Schön zu sehen ist hier, wie sich das Genussverhalten geändert hat: Es gibt auch mal ungewohntes Essen, oder kein Fertigessen.

  • „Der Berlin-Marathon“
Die Geschichte vom Marathon-Mann Micha Klotzbier hört sich abenteuerlich an. Im Januar 2015 verkündet er, ein Jahr später am Berlin Marathon teilzunehmen. Michael Klotzbier wiegt damals 160 Kilo. Innerhalb eines Jahres möchte er mindestens 60 Kilo abnehmen, um sich seinen Traum vom langen Lauf zu erfüllen. Doch auf dem langen Weg zum Ziel erleidet er unzählige Rückschläge.
  • Uli nimmt ab“ heißt ein Video-Tagebuch, das ulrike schon ein Jahr lang führt; ein Auf und Ab zwischen Kleidergröße 44 und 48. So ego-zentriert habe ich das mit dem Bloggen zwar nicht gehalten, aber dass man vom Bloggen allein nicht abnimmt, kann ich bestätigen.
    Ärgerlich ist bei Ulrikes Fall, dass ihr offensichtlich das rechte Maß fehlt – auf Dienstreisen ist sie, was die Mengen betrifft, offenkundig orientierungslos. Warum bringt dann die App, mit der sie ihre Ernährung protokolliert, keine Ordnung? Solche Fragen werden in der Sendung von niemandem gestellt, und so wirkt das Fernsehstück stellenweise, als hätte ein kopfloses Huhn die Regie geführt.
  • Heino Hermann im Abnehmcamp: Eigentlich ein reiner Fall von öffentlicher Aktion: Druck vom Publikum, oder eingebildeter Druck? Was hat die jahrelange Begleitung durch die Kamera gebracht?Vielleicht die Einsicht, dass einmal Abnehmen nur ein Etappensieg ist. Wenn Heino, wenn er mehr isst, mehr im Fitnessstudio macht, ist das nur bedingt von allgemeinem Interesse: Nicht jeder hat die Zeit oder körperliche Fitness hierfür. Immerhin: Heino weist auf die himmelvielen Ausreden hin, die Übergewichtige in Petto haben, wenn sie ihr Fitnessprogramm kürzen…
  • Wem dasw „Curvy Model“, dem schon beim Gang zur Photo-Location die Füße weh tun, als Vorbild dienen soll, ist mir unergründlich. Aber es gibt solche Phänomene und spezielle Boutiquen, die auch mal eine Jeans für 200 cm Bauchumfang führen.
  • Weitere Fälle, die vorgestellt wurden, stellten eine bunte Palette möglicher Probleme, die sich zur Adipositas auswachsen konnten, und den unterscheidlichen Kampf der Betroffenen dagegen vor. Das ging vom Liebeskummer wegen dem verheirateten Betrüger bis zum Wandel im Körperbild, den ein einst gemobbtes Kind in der Pubertät erlebt.

 

Die Schicksale, die hier aufgezeigt wurden, sind nun wirklich keine leichte Kost – selbst, den Kampf in der Reha mit anzusehen, ist nicht ganz einfach, und auch die Rückblenden, die ansatzweise zeigen, wie das Gewicht sich entwickelt hat, sind nicht unproblematisch. Dass hier von Missbrauch bis Vernachlässigung alles vertreten ist, was schädigt, mag erschreckend sein, erschreckend ist aber auch, wie diese „Ursachen“ ausgeblendet werden, und das „Schlingen“, das häufig heimlich stattfindet, auch vom „Kochen-einfach-nicht-gelernt haben“ verursacht wird deutet auf große Lücken beim Wissen, Können und in der Persönlichkeitsentwicklung hin.

Vermutlich geht vieles, was hier gesagt wurde, unter: Dank der späten Stunde, dank der Länge des bunt zusammengewürfelten Beitrags. Zum Beispiel die Aussage des Professors der Sachsenhäuser Adipositas-Klinik:

Wer einmal im Adipositas-Bereich gewesen ist, wird lebenslang auf Unterstützung angewiesen sein…

Das ist die – sinngemäß wiedergegebene – Meinung eines Fachmanns. Vielleicht nicht die medizinische Lehrmeinung – aber wohl das Urteil einer Kapazität, das man nicht „zerpflücken“, sondern würdigen sollte. Nur: Was folgt daraus?

Zumindest ist hier darauf hinzuweisen, dass mit der Betreuung Adipöser nicht alles zum Besten steht, und in der Breite die erforderlichen Fachleute eigentlich fehlen, nur im Ausnahmefall zur Verfügung stehen. Womit gleich das zentrale Mako der Sendung zu nennen ist: Das Thema „Selbsthilfe“ bleibt hier vollkommen unbelichtet. Wer soll denn der Masse an Betroffenen helfen, wenn sie sich nicht selbst kümmern? Wie ist „Hilfe statt Hohn“ zu strukturieren – wer hat sich je Gedanekn darüber gemacht? Die offiziellen, anerkannten Ernährungsberater kaum, die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ bestimmt nicht.

Neuerdings wird häufig eine Lebensmittelampel gefordert – so viel Kennzeichnung wäre auch bei den übliche Diäten zu fordern, denn „Diäten machen krank“ – solche Pauschalisierungen, wenn man daran glaubt, erst recht…
Meines Erachtens hat der Themenkomplex „Magen-Operation“ hier eine zwar gut illustrierte, aber relativ zu breite Berücksichtigung gefunden.

Vermisst habe ich die Regulation des Gefühlshaushalts im Belohnungszentrum des Gehirns, vor allem auch alternative Möglichkeiten, sich „Beruhigung“ nicht nur übers Essen zu beschaffen.

Es gibt eine Facebook-Seite zur Sendung, wie oft, finden wir hier „Volkes Stimme“, dabei ein Kommentar zu den Kommentaren:

Erstaunlich wie viele gehässige Kommentare hier mitschwingen. Das sind die netten Mitmenschen mit besonders viel Tiefgang….

Auch das war in der Sendung mal kurz angesprochen worden, als Schadenfreude der vermeintlich Besseren, genau genommen eine Form der Bösartigkeit, die es leider gibt. Es gibt auch Erklärungen, die nur eine Seite des Problems erkennen:

Wenn man nur Enttäuschungen hat, für Menschen immer da war. Die Menschen dich mit Fusstritten gezeichnet haben,ist es kein Wunder das man frustriert ist und nur isst.

Mit dieser Einstellung stellt man sich nämlich zusätzlich selbst ein Bein. Wenn die Menschheit nicht solidarisch ist, kann man immer noch für die Menschenrechte kämpfen…

Die fehlende Krankheitseinsicht bei Essstörungen mag die eine Seite der Medaille sein – leichter fiele es, zu seinem Problem zu stehen, wenn dem auch eine verlässliche Hilfe entgegenkäme. Dass die eigentliche Arbeit am Übergewicht niemand von außen übernehmen kann, ist dabei klar.

Genauso klar ist, dass es ohne Strategie und Plan, ohne neue Gewohnheiten, ohne Umstellungen keine Veränderungen geben kann.

Unbedingt klar ist aber auch, dass Veränderungen möglich sind, dass nicht alles bleiben muss, wie es ist.

 

Bild Tetje Mierendorf cc CC BY-SA 3.0 Wikipedia

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