Schopenhauer zum Frühstück
Geschrieben am 30. September 2010 von KPBaumgardt
Dass man das Abendessen ausfallen lassen kann, ist bekannt. Dinner cancelling heißt die Methode, und am Ende des Artikels gibt es hierzu auch noch eine Postkarte.
Sich Gedanken machen, statt zu essen – warum auch nicht, so lange das kein Dauerzustand ist.
In einem ZEIT-Blog finden wir einen schönen Artikel zu Arthur Schopenhauer, und darin das schöne Gleichnis über den besten Kompromiss, was des Menschen Bedürfnisse nach Wärme und Distanz betrifft:
A. Schopenhauer, Die Stachelschweine (1851)
Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich en einem kalten Winterrage recht nah zusammen, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so dass sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.
So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! – Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden.
Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.
Cassandra2010, die Blog-Autorin, hat noch auf einen weiteren Zusammenhang hingewiesen:
Wer Schopenhauers galligen Text "Über die Weiber" von 1851 kennt, wird seine grandios-provokante Parabel nur umso mehr schätzen…
Das war schon ein genialer Hinweis. Zusätzlich nannte ein weiterer Leser eine Quelle, wo der “Text über die Weiber” als mp3 abgeholt werden kann…
Doch – unbedingt mal anhören. Meinetwegen sich auch aufregen, über diese unverschämte Sicht eines alten Philosophen.
Und dann daran denken, dass es reines Yin und reines Yang ja gar nicht gibt, und dass Schopenhauer das auch gewusst hat, und uns ein nettes Meisterstück in Rhetorik und Didaktik hinterlassen hat, das gewiss nicht frei von hintergründigstem Humor ist. Sicher enthält es nur die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit – aber viele der Eigenschaften, die der Frau zugesprochen werden, gelten auch für “den Mann” (und umgekehrt), und manches ist gesellschaftlich bedingt, und bekanntlich bloße Konvention, keine Genetik, sondern Erziehung.
Der Text wäre kein philosophischer Text, wenn er einfach so und unverschlüsselt auf den Tisch gelegt würde. Und der Schlüssel zum Text ist im Text zu finden. Wer sich also über Schopenhauers “Sicht der Frauen” aufregen will, geht davon aus, dass Schopenhauer bloß selbstverständliches notiert hätte.
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