Delphi, bzw. "Das Orakel von Delphi" ist uns auch heute noch ein Begriff, mit dem wir allerdings nicht viel anfangen können.
Die Oraklestätten waren in der Antike wichtige, auch wirtschaftlich gedeutende Orte. Es war also ein Anliegen für jedermann, möglichst in den Genuss des geheimnisvollen Orakels zu gelangen.
Worum es dabei gegangen sein mag, können wir uns vielleicht vorstellen: Delphi war Aopoll geweiht, dem Gott der Kunst und Musik, und wird immer wieder mit dem Satz: "Erkenne Dich selbst" zitiert.
Nun, die heiloigen Orte der Vergangenheit sind in unserer Kultur vom Christentum ausgerottet worden, und es wäre zu fragen, obb diese Religion die Funktion des von ihr vernichteten übernommen hat.
Davon ist wenig zu spüren; Die Hirten machen sich zu Vermittlern zwischen Gott und ihren Schäfchen und sind kaum in der Lage, zu tieferer Selbsterkenntnis, abgesehen von einer gewissen Demut vor Gott, beizutragen.
Mehr über sich zu erfahren, als man bisher wusste: Bisher unbewusstes, psychoanalytisch gesagt "Das Unbewusste" zu integrieren, steht in unseren Tagen nicht auf dem offiziellen Stundenplan, findet sich aber, zum Beispiel in der Literatur:
Da gibt es aber noch den anderen, ursprünglichen Apollon, wie die religionsgeschichtliche Forschung herausgefunden hat, als einen Gott, der sich "aus den matriarchalischen Artemiskulten Kleinasiens allmählich herausentwickelt" und "sich im Zuge der Patriarchalisierung auch der Kulte, auch der Mythen bemächtigt" hat (V 142). Christa Wolf hat das Wissen um den "'dunklen' Untergrund und Hintergrund des 'Lichtgotts"' wohl nicht erst dem Brief Karl Kerenyis entnommen, in dem dieser dem mit dem Josefsroman beschäftigten Thomas Mann "die Idee vom 'wölfischen', vom 'dunklen' Apollon" mitteilt (V 99); die Idee wird aber für sie, für ihre Kassandra-Figur, wie für den Autor des Josefsromans entscheidend. Apollon als Usurpator-Gott fordert Selbsterkenntnis; der Gott der Aufklärung richtet die Aufforderung an sich selber - das heißt: Der Lichtgott entmythologisiert seinen Mythos selber (bzw. das, was er aus den alten matriarchalischen Mythen gemacht hat), genauer, er ent-heroisiert, ent-patriarchalisiert sich und seinen Mythos, Die Aufklärung klärt ihre eigene Geschichte als eine Geschichte des Kampfs um die Alleinherrschaft und der Unterdrückung auf.
Es fragt sich dann nur, ob Apollon auch in diesem Unternehmen der Selbstaufklärung noch der alte bleibt, dem die Selbstkritik zu einer anderen Art der Selbstbestätigung gerät, oder ob er soweit gehen kann und "das Andere der Vernunft" - wie die heutige philosophische Anthropologie das Ensemble von Natur, Leib, Phantasie, Begehren, Gefühlen, Unbewusstem nennt (H. und G. Böhme) - als gleichursprünglich anerkennt, ohne es zu vereinnahmen.
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