Mythologie und Narzissmus
heilpädagogische Aspekte von Märchen
lautete der Titel meiner Diplomarbeit (1989) in den Erziehungswissenschaften
- es war darum gegangen, das Phänomen des Narzissmus, das
die Psychologie gerade beschrieb und analysierte, von den Ursprüngen
her zu verstehen.
Dass der Begriff des "Narzissmus" in einem engen Zusammenhang
mit dem Mythos von Narziss steht, war noch ein unüblicher
Gedanke.
Ein Referat, gehalten bei Prof. Kutter im Fachbereich Psychoanalyse,
das die "Dialektik" von Narziss und Echo herausarbeitete,
war der Ausgangspunkt dieser Arbeit.
Was unter "Mythologie" zu verstehen ist, welche Funktionsbedingungen
sie auch heute hat, welche gültigen Aussagen sie für oder
über uns trifft, in welche anderen Mythen der Mythos von Narzissus
eingebettet ist - das waren Fragestellungen, die bei der Lektüre
von OVID (dessen Fassung des Narziss-Mythos die wohl relevanteste
ist) aufbrachen.
Schließlich ging es um die Gemeinsamkeiten und die mit
der Entwicklungssituation des kleinen Kindes verknüpften Unterschiede
zwischen Mythos und Märchen, "Wirkungsfaktoren",
die sowohl den Abwehrcharakter, wie auch die integrierenden Funktionen
von Märchen in der Enkulturation des Kindes aufzeigen - und um
"Familien- und Privatmärchen" und Gruppenmythen".
Ovid, oder
PUBLIUS
OVIDIUS NASO
ist manchen noch aus dem
Lateinunterricht bekannt - etwa der Mythos von Philemon und Baucis,
also der Mythos der symmetrischen Beziehung. Meistens sind "diese
Geschichten" in Vergessenheit geraten; die im Mythos ausgedrückte
Wahrheit zur Frage der symmetrischen Beziehung etwa wird kein
Gymnasiallehrer "seinen" Schülern vermittelt haben: Dass
es so etwas in Wirklichkeit nicht wirklich gibt.
Manche Fragen muss man eben im reiferen Alter erneut stellen
...
OVID,
der zur Zeit der Geburt unseres maßgeblichen Propheten
den Höhepunkt seines Schaffens hatte, gibt uns noch heute zu denken.
Davon möchte ich hier im Folgenden und nach und nach berichten.
... ist unsterblich:
"... mein Name wird unzerstörbar sein und ... im
Ruhm werde ich durch alle Jahrhunderte hindurch leben, wenn die
Prophezeihungen der Seher irgendetwas an Wahrheit besitzen."
Woran denken wir bei so einem Satz? An Napoleon und andere,
die "ein wenig" größenwahnsinnig, an ihrem Nachruhm
gearbeitet haben?
Die Metamorphosen sind jedoch ein kulturelles Werk, gerade
Kritik am "eisernen Zeitalter", Kritik der autoritären
und miltärischen Gesellschaftsgestaltung.
Und gerade wir haben großen Hunger nach dem "kleinen
Bruder" des Ruhms, nach der Anerkennung:
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Weiblicher Narzissmus |
Der Hunger nach Anerkennung
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- so lautet der Titel einer Arbeit von Bärbel Wardetzki,
die das Phänomen der Bulimie erklären will, und
unbewusst auf ein "uraltes" Verständnis vom
Menschen, auf OVIDs Erzählung, zurückgreift (denn
ohne OVID gäbe es auch keinen "Narzissmus").
Mit dem Hinweis, dass es bei OVID die Polarität
von Narziss
und Echo, nicht aber genuin männlichen oder weiblichen
Narzissmus, gibt, schließt sich der Kreis: "OVID
lebt":
Weil das "moderne" Denken schnell mit Schuldzuweisungen
bei der Hand ist, und männliche Täterposition
/ weibliche Opferposition als selbsterfüllende Prophezeihung
konstruiert, hilft (nur?) die Arbeit am Original,
an der Quelle, um grausamen Denkfallen zu entkommen.
Zum Thema emotionaler Hunger
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Neben der Interpretation des o.a. Ausschnitts aus
den Metamorphosen des OVID gibt es hier noch vorläufige Aussagen
zu Ovids Liebeskunst (Ars amatoria)
.
Wir dürfen mit OVID die Polarität männlich/weiblich
als kulturelle Konvention verstehen. Eine Polarität etwas
von Macho und Emanze ist bei einer neuen Rollenfindung nur hinderlich.
Sein "therapeutischer Ansatz", schon seinerseits
nicht neu, sondern bewährt, dürfte
"Selbsterkenntnis und gegenseitiges Verständnis,
Vorsicht und ein wenig Ritterlichkeit"
gelautet haben.
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