Medaillen im Wasser ...
Franziska von Almsiek hat ein Buch geschrieben. Eine Zeitschrift
bietet Einblicke, ein Interview, Nahaufnahmen.
Franzi hat Höchstleistung gebracht, als sie bei 1,80 m
Körpergröße sechzig Kilo wog. Sie hat gehungert, hatte eine Essstörung,
oder war kurz davor, was aber niemanden gestört hat, weil sie ja Höchstleistungen
gebracht hat. Bei Wettkämpfen vielleicht eher "normal" ernährt, wegen
der Leistung, hat sie sich sonst oft von Salzstangen ernährt: Die kann
man abzählen, und man kann sich bei jeder einzelnen fragen, ob man sich
die noch leisten kann. Ein schwieriger Balanceakt zwischen der optimalen
Körperform, die möglichst wenig Wasser verdrängt und der Fähigkeit,
Energie zu mobilisieren.
Eigentlich ziemlich rational. Die Methode hat funktioniert, der Zweck
heiligt die Mittel. Man sagt, Liebe geht durch den Magen. Dann gab es
für Franzi Liebesentzug.
Der Liebesentzug ist in unserer Kulturform zur modernen Form der Strafe
geworden. Es gibt weniger leidenschaftliche Wut, mehr echte(?) Gleichgültigkeit,
kühles Ignorieren, stilles Verzweifeln. Das Hungern - ein selbst auferlegter
Liebesentzug, eine Selbstbestrafung, mit dem Nebeneffekt, alles unter
Kontrolle zu haben, jedenfalls weitgehend, zumindest, was den Körper
betrifft. Die "ständigen Gedanken ans Essen" lassen ja auch keine anderen,
"dummen" Gedanken aufkommen. Sich permanent oder im Wechsel vollzustopfen,
bewirkt das Gleiche.
Franzi hat sich diszipliniert "hochgeschwommen" und lebt in unserem
modernen, gar nicht so kleinen Olymp der Berühmtheiten und Stars. Leistung
wird belohnt, besonders wenn es eine Höchstleistung ist.
Nur einmal Gold pro Disziplin, bitte nicht drängeln. Wir
feiern unsere Tugenden und Prinzipien, die Sportlerinnen und Sportler
sind weniger Vorbilder als Idole, die ihre Biographie vermarkten.
Wenn Klara Mustermann anfängt, sich ihre Salzstangen abzuzählen, ist
das ihre Privatsache. Franzi öffnet sich derweil und wird veröffentlicht.
Wir haben wenig Kontakt mit Hans und Klara Mustermann, unseren Nachbarn,
orientieren uns offen oder insgeheim an den Sternen und Sternchen, die
insgeheim oder bewusst von unserer Aufmerksamkeit leben. Hans und Klara
nehmen an den Spielen als Zuschauer teil.
Aber alles wird gut: Franzi gründet eine Schwimmschule,
vermittelt uns allen den richtigen Schwimmstil (also nicht so froschmäßig,
wie wir Dummköpfe das gelernt haben) und das Vergnügen am nassen Element.
Wir werden eine Nation der Nixen und Wassermänner. Und beim olympischen
Zirkus schaffen wir die Siegertreppchen und Medaillen ab, weil es doch
wirklich nur ums Dabeisein geht. Den Vierjahresrhythmus schreiben wir
auch der Vergangenheit zu: Demnächst ist immer und überall Olympiade,
und auch dieser Geist, dieser olympische. Wenn wir den schließlich mit
jedem Atemzug spüren, können wir auch die Fernsehübertragungen einstellen
- die sind ja nur etwas für passive Teilnehmer. Danke, Franzi, für deine
Inspiration!
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