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Psychoedukation


Die Sprechstunde

Hilflos nach dem Beratungsgespräch

 

"Ich habe da ein Problem mit meinem Übergewicht - was soll ich nur machen?"
Wer diese Frage ausspricht, hat sich schon ein Stück weit überwunden, das Problem, das sich eingeschlichen hat, anzusprechen - und die Antwort dürfte häufig so ausfallen:

"Ja, da sollten Sie etwas machen; essen Sie weniger und fettärmer und bewegen Sie sich mehr."

Das ist ja mal ein Anfang, nichts Neues, aber für mehr ist offenbar keine Zeit. "Hier steht ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor", denkt man, und fragt sich, was für eine Beratung das gewesen sein soll. Darüber haben schon Andere nachgedacht, weil das ihr Job ist:

 

Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie15.05.05

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT ONLINE 04.2005
Ä R Z T E S C H A F T
Psychotherapeuten kritisieren ärztliche Sprechstunden
BERLIN.

Kritik am Ablauf und Inhalt der ärztlichen Sprechstunden hat die Bundespsychotherapeutenkammer geübt. "Nach einem Arztbesuch ist der Patient meist um viele Ratschläge reicher - aber häufig auch hilflos und überfordert", kritisierte Detlev Kommer, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), anlässlich des Symposiums "Evidenzbasierte Psychotherapie" am 5. April in Berlin.
Ratschläge, sich gesünder zu ernähren, mehr zu bewegen, weniger zu trinken oder zu rauchen seien zwar richtig, doch die meisten Patienten wüssten das inzwischen selbst. "Der Patient verlässt die ärztliche Praxis oft nicht klüger, aber mit einem schlechten Gewissen", stellte Kommer fest.
"Ein Behandlungsplan, der den Patienten im Alltag allein lässt, ist ein unbrauchbarer Plan." Unter dem Strich sei die ärztliche Sprechstunde häufig ein "amateurhaftes Motivationsprogramm". Patienten benötigten nicht so sehr theoretisches Wissen, wie sie gesünder leben könnten, sondern deutlich mehr Hilfe bei der praktischen Umsetzung. Bloße Anweisungen seien wirkungslos, weil sie den Patienten nicht in seiner Handlungskompetenz stärkten. Wer dagegen einmal erfahren habe, wie er erfolgreich ein gesundheitliches Ziel auch in schwierigen Situationen durchhalten könne, sei den entscheidenden Schritt weiter, um auch langfristig eine Diabetes-, Asthma- oder Bluthochdruck-Behandlung erfolgreich zu bewältigen, ...

Der Erfolg traditioneller Raucherentwöhnung ist bekanntermaßen gering. Etwa drei Viertel der Teilnehmer, die bei Programmende abstinent sind, werden innerhalb eines Jahres wieder rückfällig.
Rein kognitive Schulungen, die etwa risikohafte Situationen klar machen, versagen häufig.
Glaubt zum Beispiel jemand angesichts von Langeweile zur Zigarette greifen zu müssen, dann kommt es tatsächlich häufig zum Rückfall aus Langeweile.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt - ist zwar ein populäres, aber untaugliches Konzept. Erst wer praktisch gelernt hat, hartnäckig sein Ziel trotz (aller) äußerer oder innerer Hindernisse zu verfolgen, ist langfristig erfolgreich ein Nichtraucher.

Positive Motivation und durch Erfahrungslernen verbesserte Handlungskompetenz erhöhen erst zusammen deutlich den Erfolg einer Therapie.
"Über Erfolg und Misserfolg einer Behandlung entscheiden positive Erfahrungen in der konkreten Krankheitsbewältigung", erklärte Kommer.
"Ärzte greifen meist zu Ratschlägen und Rezepten, doch damit greifen sie zu kurz." Auch Chronikerprogramme zeigen zwar Wege auf - "Was fehlt sind nachhaltige psychoedukative Konzepte, die abgestimmt auf die individuellen Voraussetzungen der Patienten dazu befähigten, sich erfolgreich einen gesünderen Lebensstil anzueignen." /hil


Es lohnt sich, nachzufragen, welche Konzepte Herr Kommer eingefordert hat.

Unter "Psychoedukation" könnten wir uns - ganz naiv - eine Erziehung, die auch die Psyche erreicht, vorstellen, also ein Lernen, bei dem auch die Seele beteiligt und angesprochen ist. Es findet sich auch die Formel: "Psychoedukativ = psychische Unterstützung + Information/Verhaltenstraining. Das wäre doch genau, was der Patient vom Anfang des Artikels sich gewünscht hat.

Jedoch, wir haben es nicht mit einem freien Begriff zu tun; lt. Lexikon

Als Psychoedukation wird die Schulung von Menschen bezeichnet, die an einer psychischen Störung leiden. ... Ziel ist, die Krankheit besser zu verstehen und besser mit ihr umgehen zu können, Der US-amerikanische Arzt C.M. Anderson gebrauchte den Begriff erstmalig 1980 im Rahmen der Schizophrenie-Behandlung. Hierbei konzentrierte er sich sowohl auf die Aufklärung der Familienangehörigen bezüglich der Symptome und des Verlaufs der Erkrankung als auch auf die Stärkung sozialer Kompetenzen, ... auf die Verbesserung im Umgang der Familienmitglieder untereinander und auf effektivere Stressbewältigung. In den letzten Jahren werden zunehmend systematische Gruppenprogramme entwickelt, die so genannten Psychoedukativen Manuale, um das Wissen über einzelne Störungsbilder und Erkrankungen den Patienten und Angehörigen gut verständlich zugänglich zu machen. (Quelle: Wikipedia)

Also, nochmals:

Als Psychoedukation kann man systematisch eingesetzte und strukturierte Formen der Patienteninformation bezeichnen, die den Patienten und/oder die Angehörigen über folgende Bereiche informieren sollen:

  • psychische Störungen und Begleitstörungen
  • charakteristische Symptome und Frühwarnzeichen
  • Anleitung zur Selbstbeobachtung und angemessenen Wahrnehmung von typischen Symptomen der Problematik
  • Störungsverständnis (Was führte zu dem Problem?)
  • selbstverantwortlichen (=aktiven) Umgang (Was kann ich tun?)
  • Rückfallprophylaxe (Schutz vor erneutem Auftreten)

Die systematische Patientenschulung wird auch bei chronischen Erkrankungen wie z.B. Asthma, Diabetes oder aber zahlreichen psychischen und psychosomatischen Störungen (z.B. Tinnitus, Schmerzen, Übergewicht) erfolgreich eingesetzt. Häufig können dabei irrationale Ängste und falsche Vorstellungen über Krankheitssymptome korrigiert werden und schon allein dadurch kann sich eine deutliche Entlastung ergeben.

Psychoedukation kann in verschiedenen Formen angeboten werden:

  • Vorträge
  • Psychoedukative Gruppen (z.B. 2 bis 4 Termine)
  • Einzelberatung
  • Patientenratgeber (Broschüren, Bücher, Video, andere Medien)

 


 

Nun, die psychoedukativen Manuale und Konzepte für Übergewicht und Esssucht lassen noch auf sich warten.

Wie sich der Einzelne sich in einer Checkliste, einem "Manual", wiederfinden soll, bleibt abzuwarten.
Richtig ist auf jeden Fall der Gedanke, bei unserem Problem die seelische Seite zu berücksichtigen (und manche Ernährungsberater bieten vollmundig ihre ganzheitliche Ernährungsberatung an).

Die Diskussion über Psychoedukation könnte Ärzte und Theapeuten zwar weiterbringen, ob unser Gesundheitssystem so beweglich ist, dass es sich den Konsequenzen im Behandlungsstil anpasst, wollen wir offen lassen.

Nun ist das Abnehmen ein von Arbeit und Lernen geprägter Prozess. Die vorläufig Übergewichtigen bei Fressnet sind auch keine Patienten, sondern Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unseren Kursen. Das (gemeinschaftliche) Erarbeiten individueller Lösungen ist als soziales Lernen zu verstehen - es gibt diesen Unterschied zwischen Lernen und Erziehung, der im "ziehen" besteht. Bei Erwachsenen ist es wenig angebracht, sie zu ziehen - Erwachsene ziehen es vor, sich zu bilden, und lernen lieber von und bei einem Lehrer, der die Erfahrung, die sie gerade machen, bereits gemacht hat.

 


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