Dass Vielessen
eine Form der Ersatzbefriedigung sei, hören und lesen wir gelegentlich,
wenn Experten "der Sache" auf den Grund gehen wollen.
"Ersatz für
welche Befriedigung?" ist die Frage, die sich unwillkürlich anschließt:
Welche Bedürfnisse oder Triebforderungen werden nicht erfüllt oder gestillt,
müssen unbefriedigt bleiben, und warum?
Die Wissenschaft nennt verschiedene Triebe mit unterschiedlicher Priorität,
je nachdem, ob es die Verhaltensforschung oder Psychoanalyse ist, steht
der Impuls zur Flucht oder die Sexualität an erster Stelle.
Beide Richtungen
bauen auf einer biologischen Grundlage auf, erklären Mechanismen, aber
auch Variabilität des Triebziels und Triebschicksals unterschiedlich.
Die Flucht wird
sinnvoll, wenn Standhalten oder Angriff bzw. Gegenwehr nicht mehr möglich
sind.
Sich zurückzuziehen, weil die Verhältnisse nicht zu ändern
sind, heißt ja nicht, verloren zu haben.
Im sozialen
Feld allerdings wird Flucht auch unmöglich gemacht, das Bleiben
aufgezwungen. Es sind nicht nur historische Zwangsverhältnisse, wie
in der Kriegsgefangenschaft, in denen die Menschenwürde mißachtet
wird; etwa Lebensmittelrationen, die bei dauerndem Hunger lediglich
das Überleben "gewähren" und zu entsprechendem Nachholbedarf bei zerrütteter
Selbstregulation führten, sind traurige Geschichte und Gegenwart, sind
die Realität menschlichen Handelns.
Wer nicht in
der Lage war, diese negativen Erfahrungen zu überwinden, wird sie -
als Multiplikator - unausweichlich weitergegeben haben. In diesen sauren
Apfel haben schon Viele gebissen.
Auch unbefriedigte
Sexualität ist kein öffentliches Thema. Es hat nie eine sexuelle Revolution
gegeben, sondern einen "generalisierten" Tabubruch. Exhibitionistische
Kommunarden und "frauenbefreiende" Herausgeberinnen sonnten
und stritten sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die in der
Folge in den Medien vorgeführte Bilderbuchsexualität hat mit individuellen
Schicksalen soviel zu tun wie ein Dreigroschenroman mit einem wirklichen
Leben.
Dem Modell von Genitalität, Aufschub, Triebverzicht und Sublimierung
läuft die bekannte Reizüberflutung, die Ideologie der Machbarkeit zuwider.
Die Doppelmoral hat sich neue Masken zugelegt. Verleugnung, Verdrängung,
Verweigerung herrschen allzu oft, nicht aber Frieden zwischen den Geschlechtern.
Einen neuartigen
Sonderfall von sexueller Dysfunktion stellt es dar, wenn die Frau ihren
Orgasmus zwar bekommt, ihn aber nicht als solchen wahrnimmt, weil, was
kommt, nicht mit dem Bild auf der Leinwand übereinstimmt.
Damit sei zum
Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und "eigenen" Ansprüchen
genug gesagt.
Essen kann eine
Art von Befriedigung - Sättigung erzeugen, wie manch anderes Genuss-
und Suchtmittel.
Es dient nicht nur dem biologischen Überleben, sondern auch der
Befriedigung erworbener hedonistischer Triebe.
Um eine Ersatzbefriedigung handelt es sich, wenn es wegen der Ablenkung
von einem ursprünglich sinnvollen Triebziel geschieht.
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