Jetzt leben wir gesund und preiswert!
Die Gesundheitsreform kommt zum Kern der Sache, aber
nicht an seinen Inhalt
Fast täglich kommen neue Vorschläge für Rabatte bei den Krankenkassenbeiträgen
in die Medien. Die Solidargemeinschaft soll oder will diejenigen belohnen,
die zum rechten Weg zurückfinden, das Rauchen einstellen, sich
sportlich betätigen und Übergewicht abbauen. Da diejenigen,
die sich schon längst "gesund" benehmen, gegenüber
den geläuterten Sündern, die eine Prämie für ihr
Wohlverhalten bekommen, nicht schlechter gestellt werden dürfen,
bekommen auch sie einen Rabatt.
Bei so viel Rabatt wird zwar eine allgemeine Erhöhung der Beiträge
fällig, aber die betrifft dann nur diejenigen, die sich ungesund
verhalten. Im Endeffekt wird also Verhalten, das als krankmachend erkannt
wurde, bestraft, und zwar doppelt: Da die Krankenkassen nur innerhalb
ihres Budgets umschichten, können sie auch nicht verlangen, z.B.
die Tabaksteuer, die unsere Sünder zwar bestraft, nicht aber von
ihrem schädlichen Tun abhält, für irgendwelche Verhaltensänderungsprämien
heranzuzuiehen.
Wir dürfen von unseren Spezialisten und Experten plausible Kostensenkungsszenarien
erwarten. Sie halten sich offenbar für derart gut, dass sie noch
nicht einmal die Betroffenen nach Lösungsvorschlägen fragen
brauchen.
Der gelenkte Patient soll sich vernünftig verhalten, und braucht
nur Belohnung und Bestrafung zur Förderung seiner Einsicht. Der
Begriff vom "mündigen Staatsbürger" gehört
so zur Vergangenheit.
Die unangenehme Frage nach Ursachen und krankmachenden Verhältnissen
wird verdrängt. Wer seine Probleme nicht adäquat bewältigt,
ist selbst schuld; Hat der Patient sich freiwillig in irgendwelche Abhängigkeiten
(Essen, Trinken, Rauchen, Beziehungen und vieles mehr) begeben, kann
er diese ganz einfach gegen die allgemeine Fitness eintauschen. Schließlich
wird der Hausarzt gezwungen, permanent zu kontrollieren, wie gesundheitskonform
seine Patienten, die zum Teil noch ohne jegliche Krankheitseinsicht,
zum Teil hoffnungslose Fälle sind, sich verhalten.
Solcher Zwang bringt in die Arzt-Patienten-Beziehung eine bestimmte
Grundstimmung, die sich mit einer therapeutisch-helfenden Haltung nicht
vereinbaren lässt.
Der Ansatz, durch Vorbeugung und Verbesserung der Volksgesundheit Kosten
zu senken, mag richtig sein - für die praktische Durchführung
wird individueller Kostendruck nicht das geeignete Rezept sein. Eine
Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient, muss die Position der
Kranken stärken, was auf dem Gebiet der Abhängigkeitserkrankungen
im günstigen Fall heißt, ihnen dabei zu helfen, sich in die
Lage zu versetzen, ihr Leben auch ohne Krücken zu meistern.
Wie unterschiedlich könnte die Diskussion um die Gesundheitsreform
sein, wäre sie nicht nur aufgrund der Kostenproblematik begonnen
worden, sondern aufgrund der Sorge um die Patienten!
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