>> Die Überschrift
"Mein Körper und ich" spricht jeden an, denn es geht um etwas Lebensnotwendiges.
Die alten Lateiner wünschten sich in ihrem "Sit mens sana in corpore
sano" eine gesunde Seele in einem gesunden Körper. Während der
NS-Zeit wurde der Körper einseitig überschätzt, indem er als ein gesunder
Körper vor allem der Wehrertüchtigung diente. Heute sorgen Aerobic-
und Fitness-Studios für die erwünschte körperliche Erscheinung.
Richtig ist, daß ein gutes Körpergefühl Grundlage für seelisches Wohlbefinden
und für ein stabiles Selbstbewußtsein ist. Die Beziehung zwischen Körper
und Ich ist aber immer, trotz Philosophie und psychosomatischer Medizin,
merkwürdig ungeklärt. Begeben wir uns also auf eine spannende Entdeckungsreise.
Das Leib-Seele-Problem
Bin ich mein Körper, oder habe ich einen Körper? Das haben sich schon
die griechischen Philosophen Plato und Aristoteles gefragt. Stehen Körper
und Ich in einem Ausschließlichkeitsverhältnis gegeneinander,
oder arbeiten sie miteinander? Wir können uns selbst zum Gegenstand
der Untersuchung machen, sei es als Seele, Geist oder Körper. Dann machen
wir unseren Körper zum Objekt. Wir können aber auch uns selbst als Subjekt
erleben. Dann ist die Frage: Ist dabei der Körper eingeschlossen oder
nicht? Descartes hatte in seinen Meditationen behauptet, Geist und Körper
seien zwei unterschiedliche Substanzen. Der Körper gehöre zur "res extensa"
der Materie, der Geist beziehungsweise die Seele dagegen seien Ideen
oder Bilder. Er prägte den folgenschweren Satz "cogito, ergo sum" -
ich denke, also bin ich. Dieses Diktum empfand ich immer als eine gröbliche
Einengung auf das Denken. Wo bleibt das Fühlen? Wo bleibt der Körper?
Ich wandelte den Satz von Descartes um in "sentio, ergo sum" - ich fühle,
also bin ich (Kutter 1978). Damals kam es mir auf die Affekte an; darauf,
daß diese, gegenüber dem Geistigen oder Seelischen, nicht zu kurz
kommen. Heute möchte ich in diesem Kapitel in der Beziehung zwischen
uns und unserem Körper, die körperliche Dimension betonen und dabei
neben dem affektiven Geschehen besonders die Körperempfindungen herausstellen.
Um dahin zu kommen, mochte ich Sie - gestatten Sie bitte die direkte
Anrede - bitten, die Höhen der Philosophie zu verlassen und den
Versuch zu machen, einmal zu überprüfen, wie Sie selbst Ihren Körper
wahrnehmen.
Eigene körperliche Erfahrungen
Versuchen Sie, einfach wahrzunehmen, wie Sie beim Lesen
sitzen: entspannt, verkrampft; ob Sie den Kopf in die Hand aufstützen
oder frei tragen, ob Sie nach hinten gelehnt oder nach vorgegebeugt
sind. Versuchen Sie auch auf den Atem zu achten, ob Sie in vollen Zügen
atmen oder nur flach. Versuchen Sie einzelne Körperregionen gezielt
wahrzunehmen: wie der Kopf auf den Schultern steht, wie die Arme liegen,
was die Beine tun, wie sich der Po anfühlt. Sind mit diesen Körperwahrnehmungen
angenehme Gefühle verbunden oder unangenehme? Wie immer es Ihnen gegangen
sein mag, ich persönlich hatte reichlich Mühe, meinen eigenen Körper
wahrzunehmen. Ich erinnere mich, als Jugendlicher nach Sport wie Skifahren
oder Schwimmen ein angenehmes Müdigkeitsgefühl im Körper empfunden zu
haben. Im Übrigen kümmerte ich mich aber nicht um meinen Körper. Zentnerschwere
Säcke voll Kohlen oder Kartoffeln waren mir nie schwer genug. Später
sagten mir die Orthopäden, daß ich dadurch meine Bandscheiben
ruiniert habe. Erst über den Schmerz im Kreuz nahm ich dann etwas von
meinem Körper wahr, registrierte die Schmerzsignale, beachtete die Lokalisation
des Schmerzes und dessen Ausstrahlungen. Mittlerweile war ich auch Neurologe
geworden und konnte die Nervenwurzelschäden genau zwischen 4. und
5. Lendenwirbel sowie zwischen 5. Lenden- und 1. Sakralwirbel lokalisieren.
Aber erst durch die von mir als liebevoll und zärtlich empfundene Berührung
durch eine Krankengymnastin wurde ich richtig auf den vernachlässigten
Bereich meines Körpers aufmerksam und konnte nach und nach den abgespaltenen
Bereich in mein Körperbild integrieren. Von da an ging ich sorgsamer
mit meinem Körper um; nicht mehr so rücksichtslos, ja gewalttätig.
Spät, aber nicht zu spät, lernte ich das kennen, was der amerikanische
Psychoanalytiker Krystal ( 1988) die "Capacity of Self- Care" nennt,
die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen; wohlgemerkt: unter Einschlufß
des Körpers. Wenn Sie das nicht tun, dann machen Sie ebenso wie ich
unangenehme Erfahrungen: Es kommt zu Schmerzen, zu Funktionsstörungen,
ja zu strukturellen Veränderungen an den Organen. Unser Körpererleben
ist ein subjektiver Ausdruck von Körper und Seele (Brahler 1995). Deswegen
ist es so wichtig, sich des eigenen Körpers bewußt zu werden,
ihn sich gleichsam wie ein Haus anzueignen, in dessen verschiedene Zimmer
man gehen kann, um sich dort wohl zu fühlen, um darin zu wohnen.
Frauen haben damit weniger Schwierigkeiten: Ab der Pubertät werden
sie alle vier Wochen an ihre Organe erinnert. Dadurch sind sie eher
als die Männer motiviert und gewohnt, auf sich acht zugeben. Das zahlt
sich mit einer deutlich höheren Lebenserwartung auch aus: In Deutschland
wurden 1997 Frauen erstmals im Durchschnitt über 80 Jahre alt,
Männer nur 73! Wir zahlen für die Vernachlässigung oder Mißhandlung
unseres Körpers einen hohen Preis, nämlich mit psychosomatischen Krankheiten.
Deshalb können wir nicht umhin, uns diesen häufigen Störungen unseres
Körpers zuzuwenden. <<
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